Luftpost 84: Antonov!

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Andreas Fecker – Foto: Bildarchiv Fecker

Die Ukraine-Krise hat auch seltsame Aspekte, die nicht sofort ins Auge stechen. So haben schon vor Jahren die russische Firma Volga Dnepr Airlines und die ukrainische Firma Antonov Design Bureau zusammen mit europäischen Partnern die Firma Ruslan Salis gegründet. Am Leipziger Flughafen betreiben sie die flugtechnische Wartungsbasis von sechs Antonov AN-124, die seitdem im Auftrag von NATO und EU für friedenserhaltende und humanitäre Maßnahmen fliegen. Diese Antonov Jumbos haben im Schnitt schon 30 Jahre auf dem Buckel, verglichen damit aber nur relativ wenige Betriebsstunden. Ihre projektierte Lebensdauer von 25.000 Flugstunden ist erst zur Hälfte erreicht, soll aber durch Überholungsarbeiten in Leipzig auf 50.000 erhöht werden.

Einen Fehler, den der Westen zur Zeit des Kalten Krieges machte war, die Leistungsfähigkeit der sowjetischen Flugzeugindustrie zu unterschätzen. Immerhin hatte diese Unterschätzung Tradition aus der Zeit der Weltkriege. Mit der Antonov An-124 „Ruslan“ gelang den Russen 1982 nämlich ein großer Wurf. Der Gigant kann auf kleinen Feldflugplätzen landen und ist von vorne und hinten gleichzeitig über eine vierteilige Laderampe bequem befahrbar. Mit ausreichend lichter Höhe kann er auch sehr sperrige Güter transportieren.

Heute ist die Welt kaum noch ohne diese gewaltigen Lasttiere vorstellbar, die Rettungsgerät in Katastrophengebiete fliegen, Raupenschlepper und Panzer, Sattelschlepper und Jumbo-Rad Kräne, Wasserturbinen und Flugzeugtriebwerke, Transformatoren und Lokomotiven, Flugzeugrümpfe und Hubschrauber, Satelliten und Raketen, Baumaschinen und Rettungstauchboote, ganze Zirkusse mit Zelt und Elefanten verlegen, aber auch UNO Truppen mitsamt Gerät zu Friedenseinsätzen bringen. Die schwerste Last, die jemals auf dem Luftweg transportiert wurde, war ein 135 Tonnen SIEMENS Stator. Auch die weltgrößten Betonpumpen 70Z von Putzmeister wurden per Antonov nach Fukushima zum Einsatz gegen die Atomkatastrophe geflogen.

Jeweils fünf Zwillingsreifen, insgesamt 20 Räder, bilden das steuerbare Hauptfahrwerk, das auch einen Kniemechanismus hat, um die Maschine zum Be- und Entladen nach vorne abzusenken. Zwei eingebaute Laufkräne mit je 40 Tonnen Tragkraft ermöglichen die bodenunabhängige Verladung, zwei On-Board APU’s (Auxiliary Power Units) liefern dazu den nötigen Strom. So kann auch auf miserabel ausgerüsteten Flugplätzen schnell und effizient Fracht umgeschlagen werden. 55 Maschinen dieses Typs wurden bisher gebaut, 24 davon gehören der russischen Armee, die Hälfte davon ist derzeit allerdings stillgelegt. Etwa 20 Maschinen fliegen bei spezialisierten Luftfrachtunternehmen wie Antonov Airlines oder Volga-Dnjepr, eine steht – möglicherweise beschädigt – auf dem Flughafen von Tripolis.

1989 setzte der Hersteller eins obendrauf: Die noch größere, sechsstrahlige AN-225 „Mriya“. Sie wurde eigentlich nur dafür gebaut, den russischen Raumgleiter auf seinem Rumpf zu tragen, ähnlich dem amerikanischen Jumbo, der die Space Shuttle nach der Landung in Edwards zur Launch Site nach Florida zurück brachte. Die An-225 basiert auf der An-124 mit einem um 15 Meter verlängertem Rumpf und größerer Spannweite. Auch das Fahrwerk wurde verstärkt: Zweimal sieben Räderpaare bilden nun das Hauptfahrwerk. Von den insgesamt 32 Rädern, sind 20 steuerbar, sonst würde dieses Flugzeug kaum einen Flughafen finden, auf dem sie die Rollwege benutzen könnte. Federführend im Bau und Betrieb dieser Großraumflugzeuge ist das Antonov Design Bureau in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.

Um es einmal ganz klar auszudrücken: Ohne die An-124 und die An-225 könnten viele globale Projekte nicht so preisgünstig und schnell realisiert werden. Transporte müssten wieder per Schiff durchgeführt und zeitraubend mit Tiefladern an den Ort ihres Einsatzes gebracht werden. Entwicklungsprojekte wären wieder auf Jahreszeiten angewiesen, da in vielen Ländern die Straßen wegen der halbjährigen Regenzeit für Schwertransporte unpassierbar sind. Bauteile könnten nicht mehr zu Hause fertig gestellt und in einem Stück transportiert, sondern müssten in kleineren Größen verbracht und erst vor Ort zusammengebaut werden. Die gesamte Wirtschaft, so sie auf Schwertransporte angewiesen ist, würde darunter leiden.

Es gibt wohl kaum einen Flughafen in der Welt, den die Piloten dieser Riesenflugzeuge nicht schon gesehen haben. So kommt es vor, dass mitten in der derzeit von gegenseitigem Mistrauen und Sanktionen belasteten Beziehung zwischen West und Ost eine russische Airline teils mit ukrainischen Piloten lebenswichtige Güter für westliche Industrien oder Militäreinsätze fliegt. Es ist schon eine surreale Welt, in der wir leben. Aber diese Zusammenarbeit lässt auch auf friedlichere Zeiten hoffen.

von Andreas Fecker