Luftpost 62: Friede im Himmel und auf Erden

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Foto: Bildarchiv Fecker

Der Kampf um die Rückenlehne führte zu einer ungeplanten Zwischenlandung in Chicago. United Airlines Flug 1462 war unterwegs von Newark, New Jersey nach Denver, als in der Economy Klasse ein heftiger Disput ausbrach. Eine Frau mittleren Alters wollte ihre Rückenlehne nach hinten klappen, stieß aber auf mechanischen Widerstand. Ihr Hintermann wollte nämlich an seinem Laptop arbeiten und hatte deshalb den Mechanismus mit einem sogenannten KneeDefender blockiert. Das ist ein Reisezubehör, das man neuerdings in den USA für etwa 20 Dollar kaufen kann. Während die FAA dieses Gadget zwar genehmigt hat, stellt sie es den Airlines anheim, diese „Rückenlehnenumklappbremsen“ zuzulassen oder nicht. Ob sich der Begriff zum Unwort des Jahres entwickeln wird, mag bezweifelt werden. Jedenfalls lehnen alle großen Airlines in den USA die Dinger ab, die Lufthansa übrigens auch.

Die Frau rief die Stewardess zu Hilfe. Doch auch sie konnte den Hintermann nicht dazu bewegen, die abschließbaren (!) Klötze zu entfernen. Da platzte der Frau vor ihm der Kragen. Sie stand auf und schleuderte dem Mann einen Becher Wasser ins Gesicht. Aufkommende Tumulte werden im Flugzeug gerne mit sofortigen Sicherheitslandungen beantwortet. Am Boden wurden beide Kontrahenten von der Polizei in Empfang genommen. Für sie war die Reise erst einmal beendet.

Wenige Tage später entspann sich an Bord eines American Airlines Fluges von Miami nach Paris ein Streit um die Beinfreiheit eines Hintermannes. Der Pilot landete kurzerhand in Boston und übergab den aggressiven Passagier der Polizei. Ihm drohen nun 6 Monate Haft plus Geldstrafe. Warum häufen sich diese Zwischenfälle? Während die westliche Bevölkerung einen Trend in Richtung Adipositas entwickelt, verringern viele Airlines gleichzeitig ihre Sitzabstände, um ein oder zwei zusätzliche Sitzreihen unterzubringen. Die Passagiere fühlen sich in ihrer (Bewegungs-)Freiheit beschränkt und reagieren zunehmend aggressiv.

Knieschuetzer im Flugzeug – Foto: Bildarchiv Ascuro AG

Wie wir sehen, sind Rückenlehnen immer wieder Streitobjekte, die das Schlichtungsgeschick der Flugbegleiter herausfordern. Sei es, dass sich der Vordermann rücksichtslos nach hinten legt, oder dass sich der Hintermann am Sitz hochzieht, und so den schlafenden Vordermann weckt. Sei es, dass sich der Vordermann aus Standhöhe auf seinen Sitz fallen lässt, was beim Hintermann bis auf die Kniescheiben durchschlagen kann, oder dass der Hintermann mit seinem Klapptisch spielt, was wiederum dem Vordermann keine Ruhe lässt.

Bewährt hat sich ein kurzes Gespräch gleich beim Einnehmen der Sitze nach dem Einsteigen. Man bittet den Vordermann, testweise seine Rückenlehne bis zum Anschlag nach hinten zu klappen. Das gibt einem dann die Gelegenheit ihn zu informieren: „Ach, das ist ja gar nicht so schlimm“ oder „Oh je, das geht ganz schön weit runter.“ Der Vordermann wird das dann später berücksichtigen, so er die Etikette beherrscht.

Etikette nennt man ein geschriebenes oder ungeschriebenes Regelwerk, welches das soziale Zusammenleben der Menschen erleichtert. Das beginnt eigentlich schon zu Hause. Das Kabinengepäck sollte nämlich nur so groß sein, dass man es notfalls auch unter seinem Vordersitz verstauen kann. Manche Leute zerren mitunter ihre Schrankkoffer an Bord und belegen Stauraum für drei, nach dem Motto, „mein Gepäck ist verstaut. Sieh zu wo Du mit deinem bleibst.“

Beim Einsteigen geht man zügig zum Platz durch und tritt in die Sitzreihe, damit der Gang frei ist und das Boarding voran gehen kann. Immer wieder blockieren Einzelne den gesamten Einsteigevorgang, weil sie im Gang stehen bleiben, ihr Monstergepäck verstauen, den Mantel ausziehen, den Lesestoff aus dem Koffer holen und sich häuslich einrichten. Dass sich im Gang dahinter die Passagiere bis zum Gate stauen, spielt offenbar keine Rolle.

Am Gate nicht drängeln. Jeder kriegt seinen Platz. Solange allerdings die Airlines die Höchstmaße des Kabinengepäcks nicht durchsetzen, wird es trotzdem zu Drängeleien kommen: Die mit dem Großgepäck wollen zuerst an Bord, damit sie noch genügend freie Gepäckfächer zum Verteilen ihres Umzugsgutes über drei Sitzreihen haben. Die mit wenig Gepäck möchten nicht unbedingt deshalb während der ganzen Reise ihre Füße auf ihren Aktenkoffer stellen müssen.

Besonders beliebt sind Rucksackträger, die sich suchend im Gang nach rechts und links drehen und dabei den Gästen hinter ihnen ihren Tornister ins Gesicht schlagen.

Wer seinen Sitz erreicht hat, sollte einen magischen Moment nicht verpassen: Statt sich stillschweigend hinzusetzen, kann man jetzt seinen Sitznachbarn begrüßen und sich mit drei Worten vorstellen. Das erleichtert eine mögliche Unterhaltung während des Fluges. Dabei sollte man nicht unbedingt mit der eigenen Lebensgeschichte vorpreschen sondern behutsam herausfinden, ob sich der Nebenmann überhaupt unterhalten möchte. Zuhören können ist hier gefragt. Man glaubt gar nicht, was man dabei alles lernen kann.

Ein Letztes noch: Wenn der Flieger auf der Landebahn aufsetzt, bremsen Sie Ihre Begeisterung. Anerkennenden Applaus empfinden die Piloten als persönliche Beleidigung, so als wollte man ihm sagen: Nicht schlecht. Hätte ich dem eigentlich gar nicht zugetraut!

von Andreas Fecker