Luftpost 61: Charles Lindbergh – Pionier mit Tiefgang

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Der Autor am Grab von Charles Lindbergh auf Maui. – Foto: Bildarchiv Fecker

Vor 40 Jahren, am 26.8.1974, starb der Flugpionier Charles Lindberg. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass er als der erste Atlantiküberquerer bezeichnet wird. Tatsächlich war sein Flug der 67. Andere vor ihm waren mit Luftschiffen unterwegs oder überquerten den Ozean auf einer kürzeren Route, wie John Alcock und Arthur Witten Brown 1919 auf der „nur“ 3.667 km langen Strecke zwischen Neufundland und Irland. Lindbergh war allerdings der erste, der die Strecke im Soloflug absolvierte. Der New Yorker Hotelbesitzer Raymond Orteig hatte bereits 1919 einen Preis von 25.000 Dollar für den Mann ausgesetzt, der als erster nonstop von New York nach Paris fliegen würde. Das war viel Geld für die damalige Zeit. Und das Preisgeld verursachte Hektik unter den Fliegern auf beiden Seiten des Meeres. Mehrere Teams erprobten Flugzeuge, ließen sich sponsern, bauten zusätzliche Tanks ein. Die ersten machten bereits Testflüge über Land, da war Lindbergh noch immer auf der Suche nach einer geeigneten Maschine zu einem vertretbaren Kaufpreis. Schließlich fand er einen Hersteller in San Diego, der ihm für 6000 Dollar ein einmotoriges Flugzeug baute. Die Konkurrenz experimentierte sogar schon mit dreimotorigen Maschinen. Alles hatte den Anschein, als würde Lindbergh zu spät kommen. Doch die Mitbewerber wurden im letzten Augenblick durch Motorschäden, Bruchlandungen oder Abstürze aus dem Rennen geworfen. Wenige Tage vor Lindberghs Abflug hieß es, dass in Frankreich zwei Franzosen gestartet seien. Doch von den beiden wurde nichts mehr gehört.

Am 20. Mai 1927 startete Charles Lindbergh in Long Island bei New York mit zwei Tonnen Sprit und fünf Sandwiches an Bord. „Für die 5.800 km nach Paris, brauche ich nicht mehr. Und wenn ich nicht ankomme, brauche ich auch nicht mehr“, begründete er damals gegenüber einem Reporter die leichtgewichtige Verpflegung. Die Route führte entlang dem Großkreis über Neufundland, Irland, England, den Kanal nach Paris. Lindbergh benötigte etwas über 33 Stunden. Ganz Paris war auf den Beinen um seine Ankunft zu feiern. In einem Triumphzug zog man ihn durch die französische Hauptstadt und im Anschluss daran gleich noch durch halb Europa. Um sein Glück nicht weiter herauszufordern, ließ er sich von der amerikanischen Navy zurück nach Amerika bringen.

Nach seiner Ankunft in New York erhielt er eine Konfettiparade, seine Geschichte füllte alle Zeitungen, und er bezahlte den Preis des Ruhms: sein Privatleben war dahin. Wo immer er hinkam, wurde er von Menschen verfolgt, von Reportern abgelichtet. „Einmal trat ich aus einem Haus in der Wall Street auf die Straße“, erzählte er, „da drehten die Menschen auf dem Absatz um und liefen mir hinterher, wie einem Straßengaukler“.

Man dichtete dem Junggesellen Affären an, bis er endlich heiratete. 1930 wurde sein erstes Kind geboren. 20 Monate später, seine Frau war gerade mit dem zweiten Kind schwanger, wurde der kleine Charles August entführt. Nach sechs Wochen fand man den Jungen tot auf, obwohl 50.000 $ Lösegeld geflossen waren. Lindbergh trug seine Emotionen nie nach außen. Er sprach auch nie darüber. Die Sensationsreporter schwärmten aus und drehten jeden Stein um. Wo der Mörder seinen Sohn verscharrt hatte, wurde sogar die Erde abgetragen und verkauft. Lindbergh erhielt 100.000 Briefe pro Woche. Bruno Richard Hauptmann wurde als Verdächtiger festgenommen, überführt und auch sofort hingerichtet.

Als Drohungen publik wurden, auch sein zweites Kind solle entführt werden, zog er nach England um. Die öffentliche Hysterie um seine Person war nicht mehr länger auszuhalten. Er war mittlerweile 33 Jahre alt. Endlich wurde seine Privatsphäre respektiert, er konnte seine Kreativität entfalten. Nebenbei perfektionierte er eine medizinische Pumpe und erfand eine Methode, wie man Serum von Blut mit Hilfe einer Zentrifuge trennen konnte.

Charles Lindbergh war ein Mann von außerordentlicher Tiefe. Die meisten Menschen sehen in ihm nur den Atlantiküberquerer. Man tut ihm damit Unrecht. Von ihm stammt beispielsweise der visionäre Satz: „Ich glaube, die Werte, die wir schaffen, und die Normen, denen wir folgen, bringen uns an das Ende der Zivilisation. Sie zerstören uns mit ihren materialistischen Werten, es sei denn wir unterwerfen unsere Wissenschaft einer höheren moralischen Kraft. Wir müssen von dem Beispiel Christi lernen, von der Weisheit Laotses und der Lehre Buddhas.“ Er wurde vor 1938 öfters nach Deutschland eingeladen, um die deutsche Luftwaffe zu inspizieren. Er besuchte auch Frankreich und die Sowjetunion. 1939 äußerte er Befürchtungen, dass die anderen europäischen Länder der deutschen Luftwaffe unterlegen sein könnten. Er machte die europäischen Regierungen auf diesen Umstand aufmerksam und kehrte in die USA zurück. Er setzte alles daran, die USA auf eine Nichteinmischung in einem möglichen Krieg einzustimmen. Er hatte damit auch umwerfenden Erfolg, in dem er einen Großteil der Bevölkerung hinter sich versammelte.

Präsident Roosevelt lehnte es daraufhin ab, Lindbergh in seinen Beraterstab zu berufen und äußerte sich abfällig über den Volkshelden, nicht zuletzt wegen seinen Besuchen in Deutschland vor dem Krieg. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor meldete sich Lindbergh zur Air Force, doch Roosevelt sorgte dafür, dass man ihn nicht einstellte. Er verpflichtete sich daraufhin bei mehreren Flugzeugbauern als ziviler Berater, reiste in den Pazifik um für die Navy zu untersuchen, wie die Vought Corsair F4U unter Kriegsbedingungen zu fliegen war. Als Zivilist flog er sogar selbst in einer Thunderbird 50 Einsätze gegen Japan.

Nach dem Krieg wurde er doch noch Berater im Verteidigungsministerium. Er reorganisierte die Strategischen Luftstreitkräfte und wurde 1954 zum General der Reserve ernannt. Er war mit Raketen- und Raumfahrtprogrammen befasst. Sein Buch „The Spirit of St. Louis“ erhielt den Pulitzer Preis. Irgendwann stellte ihn Pan American Airways als Berater ein. Charles Lindbergh war sogar an der Entwicklung der Boeing 747 beteiligt.

Dann trat wieder eine Veränderung ein. Er engagierte sich für die Erhaltung der Natur, der Umwelt und bedrohter Völker. Er kämpfte für Wale, hielt Reden in Alaska und auf den Philippinen. Er hat sich nie mit fremden Federn geschmückt, kehrte nie den Experten hervor. Aber er hatte die Gabe, Probleme zu thematisieren, Aktivitäten in Schwung zu bringen. Er vertrat Grundsätze und begeisterte die Menschen. Er war auch 1972 noch der Held von 1927. Sein Lächeln war gewinnend, seine Worte ehrlich und gerade heraus, seine Manieren einfach, aber seine Botschaft war kraftvoll.

Charles Lindbergh starb im August 1974. Eine Zeitspanne geprägt zu haben, von der ersten Atlantiküberquerung bis zur Entwicklung des Flugzeuges, mit dem die Menschen in Massen den Atlantik überqueren würden, und dann sein Lebenswerk mit dem Kampf für die Natur zu krönen, beeindruckt mich mehr als alles, was viele andere Luftfahrtpioniere vollbracht haben.