Luftpost 50: Arzt an Bord?

Werbung
Andreas Fecker – Foto: Bildarchiv Fecker

„Liebe Fluggäste. Wir bitten um Ihre Aufmerksamkeit. Falls ein Arzt an Bord ist, melden Sie sich bitte.“ Kaum ein Vielflieger, der diese Durchsage nicht schon einmal gehört hat. Ärzte fliegen häufig – im Durchschnitt sind in über der Hälfte aller Flüge ein Mediziner oder medizinisches Fachpersonal als Passagiere an Bord, bei der Lufthansa sogar in über 80% der Fälle. Je größer die Airline umso höher die Wahrscheinlichkeit. Meldet sich allerdings kein Arzt, folgt die zweite Stufe der Durchsage, meist mit noch mehr Dringlichkeit in der Stimme: „Sollte irgendjemand medizinische Erfahrung haben, bitte melden Sie sich.“

Die großen Vollsortimenter nutzen für Notfälle, wo sich kein Arzt an Bord befindet, medizinische Vertragsdienste am Boden, auf die sie 24 Stunden am Tag zurückgreifen können. Eine dieser medizinischen Zentralen ist MedAire in Phoenix, Arizona. Etwa 17.000 mal im Jahr müssen deren Notärzte am Boden bei einem akuten Notfall in der Luft helfen. Man rechnet mit 0,25 bis zu einem Notfall pro 10.000 beförderten Passagieren. 90% der Fälle sind jedoch weitgehend harmlos. Lebensbedrohliche kardiologische Notfälle sind ausgesprochen selten. Der Bodendienst berät bei der Ersten Hilfe, hilft bei der Entscheidung über eine eventuelle Notlandung und empfiehlt gegebenenfalls die passende Stadt mit dem passenden Krankenhaus dafür. Die Crews haben einen Notfallkoffer an Bord, vom Skalpell bis zum Defibrillator für Herzstillstand. Über Satellitentelefon wird der Kontakt hergestellt, aber auch für Internet-Telefonie und Webcam ist das Notfallzentrum vorbereitet.

Ein um Hilfe gebetener Arzt an Bord einer United Airlines Boeing 777 erzählt: „Ich war auf einem Flug von New York nach Los Angeles und wurde gleich nach dem Start zu einer Frau gerufen, die sich übergeben hatte. Ich erfuhr, dass sie Hydrozephalus hatte, Gehirnwassersucht. Sie klagte über Kopfschmerzen, Übelkeit und Schmerzen im Unterleib. Sie hatte einen permanenten Ventrikulo-peritonealen Shunt, ein Schlauch, der das Gehirnwasser unter der Haut durch den Hals vor der Brustwand in die Bauchfellhöhle führt. Ihre Symptome ließen darauf schließen, dass dieser nicht richtig funktionierte. Es konnte aber auch eine Entzündung sein. Wir hatten einen fünfstündigen Flug vor uns. Am Boden hätte ich die Patientin sofort in ein Krankenhaus eingewiesen. Aus dem Doctor’s Kit verabreichte ich ihr eine Medizin, die ich für geeignet hielt, sagte aber der Stewardess, dass wir womöglich in der nächsten größeren Stadt landen müssen.

Da kam der Käpten zu mir und sagte ‚Doc, ich will Ihnen nicht sagen, wie Sie Ihren Job zu machen haben. Sie sagen mir, was ich tun soll. Wenn Sie sagen, ich soll das Flugzeug landen, dann tu ich das.‘ ‚Wo ist der Haken?‘ ‚Sie sollten wissen, dass wir gerade mit einem vollen Tank gestartet sind. Wir haben 300 Passagiere mit Gepäck an Bord. Das erhöht die Anflug- und Aufsetzgeschwindigkeit. Sowie die Räder Kontakt zur Piste haben, muss ich in die Bremsen steigen, was das Zeug hält, damit wir am Ende nicht im Gras stehen. Außerdem ist das eine Übergewichtslandung. Das ist zwar nicht gefährlich, aber sicherlich muss dann die Feuerwehr die Bremsen kühlen, und das Flugzeug muss komplett inspiziert werden. Das dauert mehrere Stunden. Also wie gesagt, Sie entscheiden das.‘ Toll! Ich entschied mich, noch eine Stunde zu warten und die Wirkung der Medikamente zu beobachten. Und tatsächlich, die Patientin erholte sich, wir konnten bis Los Angeles weiterfliegen, wo sie ins Krankenhaus gebracht wurde.

Die Lufthansa Gruppe überlässt hier nichts dem Zufall. 2006 hat die Airline das Programm „Arzt an Bord“ ins Leben gerufen, das im Juli letzten Jahres neu aufgelegt wurde. Interessierte Ärzte können sich am Programm anmelden und werden dann beim Einchecken mit ihrer Fachrichtung erkannt und können so bei einem möglichen medizinischen Zwischenfall an Bord von der LH Crew direkt angesprochen werden. Als Dankeschön für diese Bereitschaft erhalten sie einmalig 5.000 Bonusmeilen, ein exklusives Fachbuch über Flugmedizin, einen Gutschein über 50 EUR, den exklusiven Kofferanhänger „Doc on board“, sowie die Möglichkeit, an einem Kurs bei LH teilzunehmen. Sollten sie dann an Bord einmal medizinische Hilfe leisten müssen, erhalten sie eine der Leistung entsprechenden Kompensation als Dankeschön. Derzeit sind ca. 8.700 Ärzte aus aller Welt angemeldet. Der Medizinische Dienst der Kranich Airline entwickelte in Zusammenarbeit mit der Deutschen Akademie für Flug- und Reisemedizin Kursangebote zu Notfällen an Bord. Für die Teilnahme gibt es CME-Punkte (Continuing Medical Education). Das Programm zeugt von unternehmerischem Weitblick, denn je mehr Ärzte die Lufthansa auf diese Weise an sich binden kann, umso sicherer können sich die Passagiere fühlen, weil für den Notfall qualifizierte Hilfe an Bord ist. Die Fortbildung durch die Airline stellt auch sicher, dass die Ärzte über die Umstände, die eine Zwischenlandung mit sich bringen, Bescheid wissen. Die Registrierung der Fachrichtung ist ebenfalls wichtig, denn ein Augenarzt, ein Kieferorthopäde, ein Radiologe oder ein Hautarzt ist womöglich nicht allzu erfahren, reisetypische Symptome an wildfremden Menschen zu diagnostizieren oder gar zu therapieren, zumal häufig noch ein Sprachproblem dazu kommt.

Die Lufthansa Gruppe führt drei verschiedene Ausrüstungen mit sich. Das Flugbegleiter Medical Kit ist so etwas wie eine Reiseapotheke für kleinere Unpässlichkeiten. Das Erste Hilfe Kit entspricht dem Verbandskasten. Das Doctors Kit ist der eigentliche Notfallkoffer. Er ist verplombt und zugelassenen Ärzten vorbehalten. Der Koffer hat für jede Maßnahme eine eigene Modultasche: Diagnostik, Infusion, Beatmung, Intubation, Absaugung und Blasenkatheter. LH Flugbegleiter verfügen über eine entsprechende medizinische Schulung, um zum Beispiel mit dem Defibrillator umzugehen…

Rechtliche Aspekte

In den Beförderungsbedingungen aller Fluglinien steht, dass schwangere, kranke oder behinderte Personen vor der Buchung darauf hinweisen müssen, dass sie eventuell besondere Betreuung benötigen. Wird der Fluggast einmal angenommen, kommt ein Beförderungsvertrag zustande. Der Kunde wird auf Grund dieses Betreuungsbedarfs nicht mehr von der Beförderung ausgeschlossen. Werdende Mütter brauchen ab der 36. Schwangerschaftswoche ein gynäkologisches Attest.

Kommt es dann doch zu einem akuten medizinischen Notfall während des Fluges, muss der Kapitän in letzter Konsequenz entscheiden, ob er am nächsten geeigneten Flughafen landet oder nicht. Abgesehen von der Verspätung, den verpassten Anschlüssen und möglichen Komplikationen, die durch die ungeplante „Einreise“ mancher Passagiere in ein Drittland entstehen können, kostet eine solche unplanmäßige Zwischenlandung die Fluggesellschaften schnell eine fünfstellige Summe. Entsprechend hoch ist der Entscheidungsdruck für den Kapitän. Unlängst traf ein Pilot die falsche Entscheidung. Die Anzeichen eines Herzinfarkts wurden nicht richtig gedeutet und der Passagier verstarb wenig später im Flugzeug. Die amerikanische Witwe verklagte die Airline erfolgreich auf sechs Millionen Dollar Schadenersatz.

Haftung

Die Chance (oder das Risiko), an Bord eines Verkehrsflugzeuges zu einer medizinischen Hilfeleistung aufgefordert zu werden, ist immer gegeben! Wichtig ist auch zu wissen, dass die Haftpflichtversicherungen der Ärzte grundsätzlich nicht für Einsätze an Bord von Flugzeugen gelten. Andererseits kann sich ein Arzt der unterlassenen Hilfeleistung schuldig machen. Unterläuft einem Arzt bei einer solchen Behandlung ein Fehler, haftet er dafür persönlich. Konsequenterweise hat die deutsche Lufthansa dafür eine Versicherung abgeschlossen, die Ärzte bei einem freiwilligen Einsatz in der Luft vor finanziellem Risiko schützt.

Ein 2005 nach einem Herzstillstand von einer zufällig mitfliegenden Krankenschwester geretteter Fluggast besuchte im Jahr darauf die junge Frau um sich bei ihr zu bedanken. Er fand sie kurz vor der Entbindung. Spontan bat sie ihn, die Patenschaft für ihr Kind zu übernehmen, wozu er gerne einwilligte.

von Andreas Fecker