Luftpost 48: Near Miss!

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Foto: Bildarchiv Fecker

Kaum ist die MH370 aus den Schlagzeilen, trifft eine andere Sensationsmeldung auf die nachrichtenhungrige Weltpresse von Amerika, Europa, Asien bis Australien: „I almost died“. Zeitungen rund um die Welt übernahmen die Story eines Journalisten und berichteten ungeprüft, wie es beinahe zum schlimmsten Crash der Luftfahrtgeschichte gekommen sei. Wäre der Pilot der UA 1205, eine Boeing 757 von United Airlines, nicht mit einem „Kampfjet-Manöver“ (O-Ton des Autors) nach unten abgetaucht, wäre ihr Flugzeug von einem vollbesetzten Jumbo gerammt worden. Er rechnete auch vor, wie viele Passagiere und Crews in die 747 passen, und wie viele die 757 aufnehmen kann. Er kam auf eine Summe von 590 Menschen, 7 mehr als im Crash von Teneriffa im Jahr 1977. So war der Superlativ schnell gefunden und in die Überschrift eingebaut worden.

Dumm nur, dass die zweite Maschine keine 747, sondern ebenfalls eine 757 war. Außerdem irrte sich der Autor in der Identität. Er hatte sich auf die öffentlich zugänglichen Transponderdaten aus dem Internet abgestützt, und die liefern in den seltensten Fällen belastbare Beweise. Die Auswertung der exakten Radarbildaufzeichnung durch die amerikanische Unfalluntersuchungsbehörde NTSB zeigte, dass zum Zeitpunkt des Ausweichmanövers UA 1205 und US Airways 432 im Hawaiianischen Luftraum auf 33.000 Fuß Höhe waren. Deshalb sprach das TCAS an und gab der United die Ausweichempfehlung nach unten. Dieses Manöver geschah rechtzeitig, denn bei ihrer geringsten Annährung waren die beiden Flugzeuge horizontal 5 Meilen und vertikal 800 Fuß voneinander entfernt. Wie brutal der Pilot eine Ausweichempfehlung umsetzt, bleibt ihm überlassen. In dem Artikel steht: „Er riss die Maschine runter …“ Nun ja, offenbar hat er sie runter gedrückt, denn wenn man reißt, dann steigt sie. Aber reißen hört sich eben besser an. An Bord muss es geradezu apokalyptisch zugegangen sein: „Passagiere um mich herum schrien. Es gab einen lauten Knall im hinteren Teil – eine Kaffeetasse war zu Boden gefallen und polterte über den Mittelgang.“ Da frage ich mich, was haben United Airlines neuerdings für Monster-Kaffeetassen? Hab ich etwas verpasst?

Während die Flugsicherheitsbehörde nun die Geschehnisse aufbereitet, sollten wir uns daran erinnern, dass voreilige Rückschlüsse ohne die Auswertung aller Details und die Befragung aller Beteiligten stets zu falschen Ergebnissen führt. Und bitte, liebe Kollegen von der Presse, bleibt sachlich und fragt nach, bevor ihr alles weiterverwertet, was euch vorgesetzt wird. Das gilt für polternde Kaffeetassen genauso wie für voreilige Schuldzuweisungen. Denn auch hier gilt im Zweifelsfall der klassische Satz, der meist in flagranti ertappten Sündern aus dem Mund sprudelt: „Es ist alles nicht so wie es aussieht!“

Wir warten übrigens gespannt auf das Untersuchungsergebnis eines weiteren Zwischenfalls in Newark NJ, wo sich am Tag zuvor auf kreuzenden Pisten ein startendes und ein landendes Flugzeug auf wenige Meter nahe gekommen sein sollen. Um genau zu sein, 123 m vertikal und 45 m horizontal. Eine startende Embraer konnte noch unter einer durchstartenden 737 durchtauchen. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Egal wer daran die Schuld hat, für alle Beteiligten wird sich das Leben verändern. Auch wenn letztendlich alles gut ausging, jeder muss den Schock verarbeiten.

von Andreas Fecker