Luftpost 45: Luftrettung und MedEvac

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Andreas Fecker – Foto: Bildarchiv Fecker

Am 4. Oktober 1983 kam es bei einer Vorführung auf dem Truppenübungsplatz Münsingen zu einem Schießunglück. Vier Soldaten wurden dabei getötet und 25 weitere Soldaten und Zivilisten zum Teil schwer verletzt. Durch einen Kommunikationsfehler waren drei Panzermörser mit scharfer Munition statt mit Nebelgranaten beladen worden. Der damalige Bundesverteidigungsminister Manfred Wörner befahl daraufhin, für Großschadensereignisse jeglicher Art zwei Großhubschrauber zu fliegenden Intensivstationen einzurichten und bereitzuhalten. Diese Hubschrauber vom Typ Sikorski CH-53G „GRH“ sind in ihrer medizinischen Ausstattung weltweit einmalig. So manches Kreiskrankenhaus wäre stolz auf eine solche Einrichtung: An Bord ist Platz für zwölf Patienten sowie ein Notarztteam. Sechs Intensivpatienten können dabei intubiert und beatmet, weitere sechs gleichzeitig medizinisch grundversorgt werden. Zur Besatzung gehören neben den beiden Piloten, zwei Bordtechniker, sowie ein für das medizinische Material verantwortlicher Sanitätsfeldwebel. Zusätzlich wird der GRH im Rahmen eines Großschadenfalles üblicherweise mit drei bis vier Arztgruppen (1 Notarzt, 1 Rettungsassistent bzw. Intensivpfleger) aus den Bundeswehrkrankenhäusern Ulm oder Koblenz besetzt.

Zur medizinischen Evakuierung schwer- und schwerstverletzter Personen über große Distanzen besitzt die Luftwaffe einen Airbus A310 MRTT MedEvac. Dieses Flugzeug ist ein wichtiges Glied in der Rettungskette. Der MedEvac-Rüstsatz besteht aus bis zu sechs Patiententransporteinheiten (PTE), deren Ausstattung den modernsten Standards der Intensivmedizin entsprechen. Des Weiteren befinden sich 38 Liegeplätze an Bord, von denen an 16 Intermediate-Care-Plätzen mittels Monitorkontrolle eine verstärkte medizinische Überwachung und Medikamentenbehandlung möglich ist. Somit können insgesamt 44 Patienten liegend transportiert werden.

Abhängig von der Anzahl und dem Verletzungsmuster der zu transportierenden Patienten, umfasst die medizinische Besatzung bis zu 25 (!) Personen. Die „Medical Crew“ wird bei Alarmierung aus dem gesamten Bundesgebiet zusammengezogen und setzt sich aus Fachärzten, Fachpflegekräften, Rettungsassistenten- und Sanitätern zusammen. Ein Fliegerarzt der Luftwaffe übernimmt als Medical Director die medizinisch-organisatorische Leitung. Die Gesamtverantwortung für den Lufttransport liegt beim Kommandanten des Luftfahrzeugs. Um im Ernstfall schnell reagieren zu können, wird am Flughafen Köln-Bonn ständig ein teilgerüsteter Airbus MedEvac in einer 24-Stunden Bereitschaft vorgehalten. Nach einem Einsatzbefehl werden nur noch die medizinischen Geräte auf Funktion geprüft und die Medikamente nachgerüstet. Um das vollständige Equipment und die flugzeugtechnische Vorbereitung abzuschließen, bedarf es nach Alarmierung ungefähr 3 Stunden.

Airbus A310 MRTT MedEvac  – Foto: Archiv Fecker

Seit 1967 unterhält die Bundeswehr mit der Bell UH-1D ein bundesweites Rettungssystem. Es handelte sich zwar dabei von Anfang an um den SAR-Dienst, den Deutschland wie jedes andere Land nach ICAO erbringen muss. Trotzdem wurden Hubschrauber zu Kliniken in Großstädten abgestellt und übernahmen einen großen Teil der täglichen Luftrettung. Nun muss man wissen, dass die Bell UH-1 von den Amerikanern für den Vietnamkrieg konzipiert wurde. 16.000 Stück wurden davon gebaut, 7.000 davon alleine für den Vietnamkrieg. Wegen des damals üblichen intensiven Feindbeschusses hatte der Hubschrauber eine haushälterische Lebenserwartung von 14 Flugstunden. Entsprechend einfach wurde er ausgestattet. Dass damals manche von ihnen über 2000 Stunden ihren Dienst versahen, erstaunte sogar die Konstrukteure. Die Bell UH-1 erlangte Kultstatus. Deutschland baute 345 dieses gutmütigen Hubschraubers in Lizenz. Bis zum Beginn seiner Ausmusterung hatte fast jeder von ihnen viele tausend Flugstunden auf der Uhr. Beim Eisenbahnunglück in Eschede setzte die Bundeswehr 12 Bell UH-1D, 3 CH-53, 2 BO 105 und 3 Transportflugzeuge ein. Mit ihnen waren 20 Ärzte und 24 Rettungsassistenten im Einsatz. Bis 2001 zählte die Bundeswehr 250.000 Rettungseinsätze. Beim Elbehochwasser im August 2002 kamen 2100 Flugstunden zusammen, außerdem 785 Windenrettungen und über 1000 Patientenverlegungen. Allerdings zog sich die Bundeswehr wegen der alternden Maschinen sukzessive aus der Luftrettung zurück und übergab die Aufgaben an zivile Dienste.

McDonnell Douglas C-9A Nightingale (DC-9-32CF), USA Air Force AN0992833  – Foto: Public Domain

Deutschland besitzt ein dichtes Netz von etwa 100 Rettungshubschraubern, die an großen Kliniken oder auf Flughäfen stationiert sind. Im grenznahen Ausland stehen noch einmal etwa 50. Die Ausstattung ist unterschiedlich. Der EC 135 von Airbus Helicopter ist dabei besonders geeignet. Allerdings haben die meisten nur Platz für vier Personen und einen liegenden Patienten. Der ADAC ist dabei mit 35 Hubschraubern stark vertreten, die DRF Luftrettung mit 30, das Innenministerium mit 12. Für SAR Einsätze und Großschadensereignisse steht natürlich nach wie vor die Bundeswehr bereit.
Für die Rückführung von Patienten aus dem Ausland gibt es Vertragsunternehmen, die diese Aufgaben übernehmen. Airlines haben abgeschirmte Krankentransportkabinen, die bei Bedarf an Stelle mehrerer Sitzreihen installiert werden. Und natürlich haben auch andere Luftwaffen MedEvac-Flugzeuge. Berühmt wurde die amerikanische C-9 „Nightingale“, die verletzte Soldaten in die Militärkrankenhäuser nach Ramstein oder Wiesbaden brachte. Allerdings war der Anblick nicht jedem vertraut. Als einst in Büchel der amerikanische Ambulanzjet mit dem roten Kreuz am Leitwerk landete, rief ein entrüsteter Major auf dem Tower an und fragte: „Was will die Swissair hier?“

von Andreas Fecker