Luftpost 43: Verlernen Piloten das Fliegen?

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Andreas Fecker Foto: Bildarchiv Fecker

Ein Gespenst macht die Runde in den Airline Cockpits: „Automation Addiction“. Das ist eine Automatensucht ganz anderer Art, eine Abhängigkeit von Autopiloten, Navigationsassistenten, Bordcomputern, Dämpfern, Lande- und Bremshilfen. Der Computer errechnet zum Beispiel die Landedistanz je nach Feuchtigkeitszustand, eingegebener Pistenlänge, von der er die Oberflächenbeschaffenheit kennt, setzt alles in Beziehung zum Resttreibstoff und dem Landegewicht und stellt den passenden Bremsdruck zur Verfügung, um bei einem vorgewählten Abrollweg die Bahn zu verlassen. „Break to Vacate“ heißt die Funktion, kurz BTV. Einfach genial. Eine andere Feature bei der neuen A350 XWB aktiviert einen automatischen Continuous Descent. Von der Reiseflughöhe errechnet der Computer einen kontinuierlichen Sinkflug bis zur Piste. Wo früher ein Käpten mit Fingerspitzen die Triebwerke steuerte, seinem Copiloten den Befehl zum Klappensetzen gab, wo der Luftwiderstand des ausfahrenden Fahrwerks zur Einleitung des Endanflugs genutzt wurde, da steuert heute ein Computer das Flugzeug. Genial! Fehlanflugverfahren werden heute durch den TO/GA Button an der Autothrottle eingeleitet. Das ist ein Schalter, der am Boden alle Systeme auf START, bei der Landung alles auf DURCHSTARTEN stellt. Er schaltet die ILS-gesteuerte automatische Landung ab, gibt Schub, und leitet das Fehlanflugverfahren ein. Toll. Man kann sich an diese (vorher einzustellenden) Hilfen schnell gewöhnen.

Zahlreiche Assistenten dieser Art finden sich in den verschiedenen Computern, die das Fliegen vereinfachen und noch sicherer machen sollen. Richtig ist, dass Flugunfälle selten geworden sind. Im ganzen Jahr 2013 gab es weltweit nur 29 Unfälle mit Todesfolge, insgesamt kamen dabei gerade mal 265 Menschen ums Leben. Gleichwohl häuft sich eine ganz neue Art von Ursachen: Manche Piloten verstehen ihre Maschine nicht mehr. „Was macht sie denn jetzt?“ ist eine im Cockpit häufig gemurmelte Frage. Statt als erstes die Automatik abzuschalten und das Flugzeug von Hand weiter zu fliegen, wird gerätselt und im (elektronischen) Handbuch nachgeschlagen. Hätten sich die Piloten der technisch einwandfreien Boeing 777 der koreanischen Asiana in San Francisco bei bestem Wetter an ihre ersten Flugstunden erinnert und sich nicht blind auf den Schubregelcomputer (Autothrottle) verlassen, wäre ihnen vielleicht noch rechtzeitig aufgefallen, dass sie zu tief und zu langsam waren.

Bisweilen sind es falsche Computereingaben, die fatale Folgen haben. Zahlendreher sind besonders beliebt. Gerade junge Piloten, die in der Computerwelt aufgewachsen sind, neigen dazu, Knöpfe zu drücken und Keyboardeingaben zu machen, satt dafür zu sorgen, dass sie nicht zu langsam sind und noch genügend Luft unter den Flächen haben. Im amerikanischen Buffalo brachte ein Co-Pilot ein Zubringerflugzeug zum Absturz, weil er es falsch programmiert hatte. Als dann die Überziehwarnung anschlug, zog er um sein Leben, wo eigentlich das Steuer hätte nach unten gedrückt werden müssen um wieder Fahrt aufzunehmen. 49 Todesopfer. Zwei Wochen später setzte Turkish Airlines eine Boeing 737 im Anflug auf Amsterdam in den Acker, nachdem ein Computer von einem der Höhenmesser falsche Angaben bezogen hatte. Damals hatte der Co sogar noch richtig reagiert, Gas gegeben und die Nase nach unten gedrückt, aber der Captain übernahm, riss die Hebel wieder zurück, damit war das Schicksal besiegelt. 9 Todesopfer. 2009 fiel bei Air France AF447 über dem Atlantik der Auto Pilot aus, wahrscheinlich weil die Pitot-Sonden vereist und die Geschwindigkeitsdaten inkonsistent waren. Die Piloten interpretierten die Computeranzeigen falsch und brachten das intakte Flugzeug in einen überzogenen Zustand, worauf ein Strömungsabriss erfolgte. 228 Todesopfer.
Eine US-Studie von Unfällen und Zwischenfällen brachte zum Vorschein, dass es den Piloten bei 60% der Unfälle und bei 30% der Zwischenfälle an der Fähigkeit mangelte, ihr Flugzeug manuell zu fliegen. Sie haben diese Fähigkeit vergessen dank der automatischen Assistenzsysteme. Früher einmal waren Flugzeugdesigner, Konstrukteur und Pilot ein und derselbe Mensch, der sein Flugzeug verstand. Heute sind es Designbüros, Ingenieurbüros, dislozierte Flugzeugwerke, die dem Piloten einen fliegenden Computer hinstellen, den es zu beherrschen gilt.

Man spricht von drei Stufen der Automation im Cockpit: Die erste Stufe ist das manuelle Fliegen mit Steuerhorn, Klappen und Leistungshebel. Die zweite und mittlere Stufe ist der Autopilot, der den Piloten erlaubt, eine Richtung einzustellen, auf eine Flughöhe zu steigen, die Höhe und die Geschwindigkeit zu halten, die Steig- oder Sinkrate zu wählen und einem eingestellten Kurs zu folgen. Die dritte und höchste Stufe ist das Flight Management System FMS, das dem Autopiloten sagt, wie er von A nach B kommt, ein System, das ganze Streckensegmente abfliegt. Auch das automatische Landesystem gehört dazu. Eigentlich sind es drei Auto-Landesyteme, die alle drei funktionieren müssen. Weicht einer während der Landung mit unterschiedlichen Werten ab, entscheiden die beiden anderen, welcher abzuschalten ist. Die Crew ist da bis zu einem gewissen Grad nur Zuschauer.

Capt. Warren Vanderburgh, Ex-Geschwaderkommodore, ehemaliger Fighterpilot und schließlich Ausbildungspilot bei American Airlines, formuliert es so: „ Eigentlich ist die Automation dafür gedacht, die zwei-Mann Crew zu entlasten. In bestimmten Szenarios ist aber das Gegenteil der Fall, weil die Crew eine plötzlich oder allmählich eintretende Situation nicht versteht. Plötzlich ist die Crew überlastet. Statt nun eine Stufe herabzuschalten und das Flugzeug von Hand zu fliegen wird versucht, sich durch Computermenüs zu blättern und Inputs im FMS zu verändern, die das Flugzeug stabilisieren sollen. Die Ingenieure haben Piloten zu Systembedienern gemacht.“ Überspitzt könnte man sagen: Wenn das so weitergeht, dann fliegt das Flugzeug die Piloten, statt umgekehrt.

Aber Achtung, allzu schnell ist man bei der Hand, jetzt den Piloten oder den Ingenieuren die Schuld in die Schuhe zu schieben. Es ist nämlich auch Fakt, dass es bei vielen Airlines wegen des Passagier-Komforts strikt vorgeschrieben ist, dass der Autopilot über 500’ immer eingeschaltet zu sein hat. Die Fliegerei von Hand ist nämlich logischerweise etwas „unruhiger“ als der Autopilot – wenn er richtig funktioniert. Somit werden die Piloten oft von der Airline geradezu dazu gezwungen, das Fliegen aufzugeben. Ich kenne Frachtpiloten, die nach dem Start bis zur Reiseflughöhe von Hand fliegen um im Training zu bleiben. Es fand auch nach dem Air France Unfall ein Umdenken bei vielen Airlines statt. Sie lassen das Training wieder neu überarbeiten, der Asiana Crash in San Francisco hat sie dazu noch einmal bestätigt. Also, der Trend ist erkannt, die Kehrtwende ist eingeleitet. Ich steige wieder beruhigt ins Flugzeug und vertraue darauf, dass das Umdenken weltweit Früchte trägt.

von Andreas Fecker