Luftpost 41: Haarrisse

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Foto: Archiv Fecker

In den vergangenen Wochen verdrängten die Ereignisse um MH370 sowie der akute Lufthansa Streik zwei Meldungen aus den Nachrichten: Die eine kam von Airbus, dort seien an einer A380 Haarrisse entdeckt worden. Prompt kam Boeing aus der Deckung und gab den Fund von Haarrissen in den Tragflächen von 42 Boeing 787 bekannt. Wäre es zur fraglichen Zeit nicht ein Non-Thema gewesen, die Sensationsreporter hätten schon ihre Bleistifte gespitzt, um eine größere Luftfahrtkrise herbeizuschreiben.

Bringen wir Licht in die Haarriss Geschichte. Die Fälle bei den beiden Herstellern sind unterschiedlich gelagert. Für alle Flugzeuge gilt grundsätzlich: Die mikroskopisch kleinen Ermüdungsschäden sind eine ärgerliche Geschichte. Sie sind mit dem bloßen Auge oft nicht erkennbar. Sie liegen auch noch versteckt irgendwo im Inneren einer Struktur, aber sie bieten der Korrosion eine offene Flanke. Was tut man dagegen, man kann ja nicht nach jedem Flug das Flugzeug in seine Bestandteile zerlegen und mit Röntgengeräten alles durchleuchten? Einen solchen D-Check macht man alle sechs bis zwölf Jahre, und er kostet je nach Flugzeugtyp viele Millionen Dollar.

Also, nimmt man stattdessen ein Vorserien-Flugzeug, das nie fliegen wird und führt die Haarrisse systematisch herbei. Man ermüdet es sozusagen im Zeitraffer. Es wird in ein Gerüst eingespannt. Dann zerren und drücken, biegen und ziehen 40, 50, 60 hydraulische Pumpen an Zelle, Struktur, Tragflächen und Leitwerk. Alle belastungsrelevanten Teile werden einem Martyrium ausgesetzt. Im zwei-Minuten-Takt werden die Maximalbelastungen eines ganzen Fluges ausgeübt. Rollen, Start, Beschleunigung, Rotation, Steigflug, Turbulenzen, Böen, Druckunterschiede, Anströmkräfte auf die Klappen, Schubkräfte auf Triebwerksaufhängungen, Sinkflug, Landestoß, Rollen. Und dann wieder von vorn. 24 Stunden am Tag. Jeden Tag. Ein ganzes theoretisches Flugzeugleben lang. Wie viele Flüge hat ein Mittelstreckenflugzeug statistisch vor sich? 40.000? 50.000? Dann testet man eben 100.000 Flüge. Und nur um ganz sicher zu sein, gibt man nochmal die Hälfte obendrauf. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn man da nicht ein paar Ermüdungserscheinungen zustande brächte. Schließlich will man ja wissen, wo sie auftreten, wenn sie denn auftreten! Also werden auch die normalen A-Checks, B-Checks, C-Checks durchgeführt, was zu mehrtägigen Testunterbrechungen führt. Nach etwa 60.000 Flügen wird ein ganz großer S-Check gemacht. Dabei wird das Flugzeug gleich noch auf den zweiten Teil der Ermüdungstests vorbereitet: Dazu werden nämlich absichtlich künstlich Schäden eingebaut, um das Schadens-Toleranzverhalten zu testen. Dann beginnen die oben beschriebenen Torturen von neuem. Dabei soll nachgewiesen werden, dass selbst nach Steinschlag oder unsachgemäßer Behandlung und verschütteten Flüssigkeiten keine Strukturschäden entstehen. Sind alle Tests zu Ende, werden bei einem C-Check noch einmal alle belasteten Einzelteile genauestens kontrolliert.

Diese Langzeittests müssen nicht abgeschlossen sein, bevor die Maschine in Serie geht. Für die Zulassung reicht es wenn bewiesen wurde, dass die Struktur ein Flugzeugleben unbeschadet übersteht. Und während die Bestellungen nun an die Kunden geliefert werden, wird weiter getestet. Und jetzt endlich sind erste Haarrisse beim Ermüdungsversuch einer A380 aufgetreten. Airbus hat sofort reagiert und die Grundüberholungsintervalle von 12 Jahre auf 6 Jahre verkürzt. Immer zur sicheren Seite.

Bei Boeing soll die Ursache der eben erst entdeckten Haarrisse in einem veränderten Produktionsprozess beim Zulieferer Mitsubishi Heavy Industries liegen. Angeblich ist nämlich keiner der 122 ausgelieferten Dreamliner betroffen, sondern nur Maschinen, die derzeit in der Fertigung sind oder noch in Everett auf dem Hof stehen. Teilweise wurden sie noch gar nicht testgeflogen. Allerdings handelt es sich dabei um die stolze Zahl von 42 Flugzeugen. Und diese alle in Ordnung zu bringen, dürfte vor allem eine größere organisatorische Herausforderung werden.

von Andreas Fecker