LUFTPOST 37: Herztöne

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Andreas Fecker – Foto: Bildarchiv Andreas Fecker

Dr. Ziebarth beugte sich über das blutüberströmte Unfallopfer, das reglos in einem Autowrack auf der A7 eingeklemmt war. Der Golf war unter einen Sattelschlepper geraten und steckte nun bis zum Fahrersitz unter dem Laderaum. Ausweichende Fahrzeuge waren in die Leitplanken gerast und hatten sich ineinander verkeilt. Er selbst wurde auf seinen Vordermann geschoben, war aber unverletzt. Wieder beugte sich der Arzt zu dem Schwerverletzten und versuchte einen Puls zu ertasten, er lauschte vergeblich auf die schwachen Herztöne. Da ertönte das Klopfgeräusch eines Hubschraubers, der immer näher kam. „Der Rettungshubschrauber kommt“, war sich Dr. Ziebarth sicher. Aber der Hubschrauber blieb über der Unfallstelle stehen, Windböen wirbelten Split und Dreck auf. Unwirsch blickte der Arzt zu dem Hubschrauber hinauf und erkannte, dass er einer privaten Fernsehanstalt gehörte. Ein fliegender Sensationsreporter kommentierte von oben „Live vor Ort“ das Geschehen, was sein Kollege mit der Kamera festhielt.

„So kann man doch nicht arbeiten“ schrie der Arzt, der auf dem Weg in den Urlaub nur durch Zufall in die Unfallstelle geraten war. Wieder wirbelte der Rotor Staub auf und trieb ihn den Helfern in die Augen. Aus der Gegenrichtung näherten sich Einsatzfahrzeuge von Feuerwehr und Polizei. Ein zweiter Hubschrauber war im Anflug, diesmal der Rettungshubschrauber. Der News-Helikopter versperrte dem SAR-Hubschrauber aber den Weg zum freien Landeplatz auf der Fahrbahn vor dem Unfallgeschehen. Weitere kostbare Minuten verstrichen, bis der Rettungshubschrauber landen konnte und den Motor abstellte. Fünf Minuten hielt sich der Nachrichten-Helikopter in unmittelbarer Nähe des Unfallortes auf, bis er parallel zur Autobahn fliegend die Gegend verließ.

Dr. Ziebarth nahm sich vor, eine Initiative zu starten, die derlei rettungsgefährdenden Katastrophen-Voyeurismus unterbinden soll.

Hier stehen sich zwei Rechtsgüter gegenüber:

Artikel 2 des GG garantiert das „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“

Artikel 5 des GG garantiert jedem „das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

Schränkt nun die Meinungs- und Informationsfreiheit eines Journalisten das Grundrecht auf Leben oder lebensrettende Maßnahmen an einem Unfallopfer ein, so ist es sicher kein juristischer Urknall, wenn die viel zitierte Informationsfreiheit, oder vielmehr die Sensationsgier des Fernsehkonsumenten nach dramatischen Bildern zurückstehen muss. Um diese Praxis einzudämmen halte ich es für angebracht im Luftverkehrsrecht festzulegen, dass Unfall- und Katastrophenstellen weiträumig zu meiden sind. Erkennt ein Flugzeugführer der allgemeinen Luftfahrt im Reiseflug einen Unfall, einen Brand oder ein anderes Schadensereignis, ist er gehalten, diesen Sachverhalt mit Positionsmeldung per Vorrang an die nächste Flugsicherungsstelle weiter zu melden. Wird er daraufhin nicht ausdrücklich darum gebeten, sich noch weiter vor Ort aufzuhalten, ist seine Aufgabe erledigt und er hat den fraglichen Luftraum zu verlassen. Die Flugsicherung errichtet ein zeitweiliges Sperrgebiet mit einem Radius von 1 oder 2 nautischen Meilen um den Unfallort und einer Höhe von 2500 Fuß über Grund. Erkennt ein Flugzeugführer im Reiseflug einen Unfall oder ein anderes Schadensereignis, bei dem bereits Rettungsfahrzeuge im Einsatz sind, hat er diesen Ort in entsprechendem Abstand zu umfliegen.

Kein Verbot ohne Sanktionen. Sollte eine Zuwiderhandlung nur mit einer Geldstrafe belegt werden, kann man davon ausgehen, dass die Fernsehanstalten diese aus der Portokasse bezahlen. Die Bilder sind offenbar mehr wert. Man muss deshalb mit Entzug der Fluglizenz des Piloten arbeiten.

Passagiere an Bord eines lauten Hubschraubers können sich offenbar nicht in die Lage von Rettungsmannschaften versetzen, die in den Trümmern eines explodierten Gebäudes versuchen, Klopfzeichen zu hören. Hauptsache die Zuschauer können sich daran ergötzen, wie groß das Trümmerfeld aus der Vogelperspektive ausschaut.

Auch beim großen Oderhochwasser behinderten Newshelikopter die Bundeswehr-Tornados, die mit Wärmebildkameras dem Flussverlauf folgten, um die aufgeweichten Dämme zu überwachen und Schwachstellen aufzuspüren.  Es mag berechtigte Einsatzmöglichkeiten geben, aber allzu oft stellen sich die fliegenden Kameras ganz in den Dienst des sensationslüsternen Unfallgaffers, nur dass dieser dabei mit Bier und Chips auf der Wohnzimmercouch sitzt.

von Andreas Fecker