Luftpost 34: Ein Whiskey und ein Vaterunser

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Andreas Fecker Foto: Bildarchiv Fecker

In einem Land, das sieben verschiedene Worte für Nieselregen und neun Worte für Wind hat, kann man sich unschwer vorstellen, dass die Fliegerei besonderen Umständen unterliegt. Seit 1967 fliegt die schottische Loganair nach Kirkwall auf den Orkneys, 1968 zu den Inneren Hebriden und 1969 zu den Shetland Inseln. Die Verbindungen zu den Shetland und Orkney Inseln erwiesen sich besonders im Luftambulanzdienst als lukratives Geschäft. 1973 kaufte British European Airways (BEA) das Recht an den Krankentransporten. Im Gegenzug durfte Loganair sieben BEA-Flughäfen zu den 23 eigenen Destinationen hinzufügen, deren Namen sich wie ein Reiseführer über den „Whiskey Trail“ lasen. Ein neuer Geschäftszweig tat sich auf: Anschlussflüge für die Helikopterrouten zu den Bohrinseln in der Nordsee. 1992 übernahm Loganair im Auftrag der schottischen Luftambulanz wieder Kranken- und Rettungsflüge. Hauptgeschäft aber war die Versorgung der entlegenen schottischen Gebiete. Zum Streckennetz von Loganair gehört auch Barra Beach. Aus diesem Grund muss täglich eine der Twin Otters in den Hangar, wo sie sorgfältig von Meerwasser gereinigt wird, denn der Barra Beach Airport liegt genau dort, wo es der Name vermuten lässt: am Strand. Zweimal am Tag verschwindet er unter der Flut. Es ist weltweit der einzige Flughafen mit regulärem Linienverkehr, an dem Landflugzeuge im seichten Wasser aufsetzen und auf den Strand rollen.

Die zweimotorige Twin Otter beweist sich dabei wieder als eines der robustesten und vielseitigsten Flugzeuge überhaupt. Ausrüstbar mit Rädern, Schwimmern, Skiern oder Kufen fliegt diese Maschine in allen Regionen der Erde, zwischen Nordpol und Südpol. Als Wassertaxi zwischen den maledivischen Inseln genauso wie im Such- und Rettungsdienst im Urwald oder in der Antarktis. Kenn Borek im kanadischen Calgary betreibt neben elf DC-3 mit einem Durchschnittsalter von 70 Jahren (!) die größte Twin-Otter Flotte der Welt. Wo immer es besondere fliegerische Herausforderungen wie zum Beispiel die Versorgung von sturmumtobten Inseln gibt, sind die vielseitigen De Havilland Twin Otter DHC6 im Einsatz. So auch auf den Orkney Inseln im Norden Schottlands.

Wenn Gerard Depardieux in Paris CDG ins Flugzeug nach PPT steigt, hat er einen 22 Stunden-Flug mit mindestens fünf Mahlzeiten, mehrere Flaschen Cognac und noch mehr Toilettenbesuchen vor sich, bevor er in Papeete in den Flugsteig torkelt. Wenn hingegen Geoffrey McBanister im schottischen WRY in die Twin Otter von Loganair nach PPW steigt, reicht die Zeit höchstens für einen Whiskey und ein Vaterunser, dann setzt die Maschine schon wieder zur Landung an. Denn der Trip von Westray nach Papa Westray auf den Orkney Inseln ist der kürzeste Linienflug der Welt. Ganze zwei (2) Minuten dauert der Flug nach Flugplan von einer Klippe zur anderen, bei günstigen Windverhältnissen geht es auch schon mal in 60 Sekunden. Die Flugplätze liegen 2,8 km voneinander entfernt. Der Flug erspart immerhin eine 40-minütige Überfahrt mit der Fähre. Da man die dreieinhalb Quadratkilometer kleine Insel Papa Westray jedoch gemütlich zu Fuß erkunden kann, wird man als Globetrotter mit einem Hang zum Besonderen die Vorteile einer Autofähre vorerst kaum zu schätzen wissen. Für 35 Pfund pro Nacht kann man in einem der drei Selbstverpflegungs-Hostels übernachten. Der Dorfladen bietet neben Lebensmitteln ein reichhaltiges Angebot an Wein, Bier und erlesenen Whiskeys. Spätestens jetzt erklärt sich auch die Einbindung der kleinen Insel in das schottische Fährensystem.

Die 47 Quadratkilometer große Mutterinsel Westray mit ihren schroffen Klippen bietet Stoff für einen längeren Aufenthalt. Auf jeden Fall sollte man sich den Kurztrip nach Papa Westray gönnen, solange er noch im Flugplan steht. Und ein Vaterunser hat noch nie jemandem geschadet!

von Andreas Fecker