Luftpost 318: „Sue the bastards“

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Am 18. Juli 1950 kam im Londoner Stadtteil Blackheath ein Junge zur Welt. Er wurde auf den Namen Richard getauft. Sein Vater Edward Branson war Rechtsanwalt, sein Großvater Sir George Arthur Branson war Richter am High Court of Justice. Seine Schulzeit war nicht zuletzt wegen seiner Legasthenie und einer Rechenschwäche wenig erfolgreich. Er verließ die Schule ohne Abschluss. Sein Lehrer prophezeite ihm zum Abschied, er werde wahrscheinlich im Gefängnis enden, oder aber er werde Millionär. Der junge Richard entschied sich für letzteres und gründete 1970 eine Schallplattenfirma namens Virgin Records. Er verpflichtete einen damals noch unbekannten Künstler namens Mike Oldfield, dessen Debutalbum fünf Millionen Mal verkauft wurde. Die Nachfrage war so groß, dass Virgin gar nicht schnell genug Platten nachpressen konnte. Tubular Bells blieb 247 Wochen in den englischen Top Ten. Hollywood benutzte einen Teil daraus im Film Der Exorzist. Oldfield erhielt sogar einen Grammy dafür.

Sir Richard Branson (2015) – Foto: Chatham House über Creative Commons

Mit diesem ersten unternehmerischen Erfolg als Grundlage gründete Branson unter dem Label Virgin weitere Firmen, darunter die Virgin Atlantic Airline. 1999 schlug ihn die Queen für seine unternehmerischen Fähigkeiten zum Ritter. Doch der Platzhirsch British Airways war nicht gewillt, tatenlos zuzusehen, wie Sir Richard ihr die Butter vom Brot nahm. Branson führte 18 Monate lang über alle schmutzigen Tricks Buch, mit denen die BA nach seiner Darstellung Virgin Atlantic vom Markt fegen wollte. Darunter seien Verleumdungskampagnen gewesen, Dumping Tickets für BA-Flüge auf den Virgin Routen, die kurz vor oder nach seinen Abflügen auf dem Flugplan standen, gehackte Adresslisten von Virgin-Kunden, Angstkampagnen, Virgin stünde kurz vor dem Bankrott. Sir Richard bat den Chefökonom von British Airways, Lord John Leonard King, Baron King of Wartnaby, diese Kampagne zu beenden und in einen fairen Wettbewerb zu treten. Lord King lehnte ab. Die Presse ließ keine Gelegenheit aus, British Airways hoch- und Virgin Atlantic runter zu schreiben. Nachdem seine Airline Verluste einzufliegen begann, verkaufte Branson Virgin Records für 1 Milliarde US-Dollar an EMI Records. 1997 entfernte BA den Union Jack von ihren Flugzeugen. Sofort versah Branson den Bug seiner Maschinen mit dem Union Jack und der Aufschrift „British Flagg Carrier“.

In diese angespannte Zeit fiel eine Antwort, die er einem Journalisten auf die Frage ‚Wie wird man Millionär?“ gegeben haben soll: „Ganz einfach. Du fängst als Milliardär an und gründest eine Airline. Dann geht das ganz schnell.“ Und Sir Richard folgte auch dem Rat seines alten Freundes Freddie Laker, der ihn vor den schmutzigen Tricks der britischen Luftfahrtindustrie gewarnt hatte. „Sue the bastards!“ hatte er ihm eingeschärft, zu Deutsch „Verklage die Hunde!“ Als Lord King wieder einmal in einem Brief an die Vorstände von British Airways schrieb, Branson wolle nur Publicity, reichte der Beschuldigte Klage ein, und hatte Erfolg. Fortan wendete sich das Blatt zugunsten des Unternehmers. Nach einem anderen gewonnenen Rechtsstreit mit dem Rivalen wurde BA dazu verurteilt, 611.000 Pfund an Branson und seine Airline zu bezahlen. Der Milliardär verteilte dieses Geld an seine Angestellten als „BA Bonus“.

2006 erhielt er einen Anruf von der Filmgesellschaft MGM. Man bräuchte für die Dreharbeiten zum James-Bond-Film Casino Royale kurzfristig eine Boeing 747 am Flughafen von Prag. Der Airport diente nämlich als Kulisse für den Flughafen von Miami. British Airways hatte abgelehnt, weil sie einen Image-Schaden befürchtete. Branson sagte sofort zu und brachte die 747 persönlich nach Prag. Dort erhielt er auch gleich noch eine Statistenrolle, wie er an der Security durchleuchtet wurde. Es war nicht der einzige Publicity Coup von Branson in diesem Zusammenhang. In der Inflight-Version von Casino Royale schnitt BA deshalb alle Szenen fein säuberlich heraus, wo Branson oder ein Virgin Flugzeug zu sehen war. Und wo das wegen der Handlung nicht möglich war, wurde die markante Heckflosse farblich neutralisiert. Auch wenn die große britische Traditions-Airline es immer wieder versucht, gegen den vermeintlichen Emporkömmling zu punkten, so war es zum Schluss doch Branson, der beim Publikum die Sympathiepunkte machte.

Und Sir Richard beschränkte sich nicht auf Virgin Atlantic, er machte mit einer weiteren Airline namens Virgin Australia der Qantas Konkurrenz. Dazu kam gleich noch die Tochtergesellschaft Virgin Samoa. Der Mischkonzern des umtriebigen Entrepreneurs beschäftigt inzwischen ca. 70.000 Mitarbeiter und bewegt 21 Milliarden US-Dollar. Es gibt kaum eine Branche, in der die Virgin Group nicht vertreten ist, vom Online Blumenhandel über Kosmetika, Medien, Telekommunikation, Videospielen, Wein, Handelsketten, Luxushotels oder Stammzellenbanken. Er gründete und investiert in über 60 Tochterfirmen, darunter alternative Treibstoffe, Transportmittel, Eisenbahnunternehmen und Wohltätigkeitsorganisationen. Mit dem Ballon versuchte er mehrfach die Erde zu umrunden, verlor aber den Wettlauf an Bertrand Piccard. Er baute ein Formel-1 Team auf, nahm an Ocean Racing teil. Er überquerte den Ärmelkanal als Kite-Surfer. 2004 gründete er Virgin Galactic. Mit SpaceShipOne und SpaceShipTwo möchte er Weltraumflüge für touristische und wissenschaftliche Zwecke anbieten.

SpaceShipTwo unter dem Doppelrumpfflugzeug WhiteKnight2 in einem Hangar  – Foto: Virgin Galactic/Mark Greenberg unter Creative Commons

Der unternehmerische Lebenslauf des ruhelosen Sir Richard Branson sollte besonders jenen Menschen Hoffnung geben, die unter Dyslexie, Matheschwäche oder Lernstörung leiden und schon in der Schule Brutto nicht von Netto unterscheiden konnten.

Andreas Fecker