Luftpost 308: Linkshirn, Rechtshirn

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Füsse – Foto: Fecker

Ist Ihnen das schon mal begegnet: Jemand sagt ‚links‘, meint aber ‚rechts‘? In meiner Zeit als Flugsicherungslehrer habe ich bei Schülern immer wieder erlebt, dass sie links und rechts verwechselt haben. Sie wiesen im Simulator einen Piloten mit Steuerkurs 270° an, 5° nach links zu korrigieren und mit neuem Kurs 275° weiterzufliegen. Das wäre beinahe ein linker Vollkreis. Dabei wollten sie nur eine Kurskorrektur von 5° nach rechts vornehmen. Bei der anschließenden Fehleransprache konnte der Schüler nicht nachvollziehen, wie ihm das passierte. Dieses Phänomen kann unterschiedliche Ursachen haben. Der Schüler denkt „egozentrisch“ und hat womöglich Schwierigkeiten, sich „allozentrisch“ in die Flugrichtung des Piloten zu versetzen, wenn das Flugzeug auf ihn zufliegt. Das kann man allerdings erlernen. Schwieriger ist es da schon, wenn das im Unterbewusstsein passiert.

Der Mensch ist nicht nur „kreuzverkabelt“, er hat auch zwei Gehirnhälften mit unterschiedlichen Aufgaben. Die rechte Hälfte ist für die Sinneseindrücke, Fantasie und Kreativität zuständig. Sie denkt unmittelbar in Bildern. Hier werden Gedanken und Ideen intuitiv und ganzheitlich begriffen und verarbeitet. Die linke Hälfte arbeitet hingegen logisch und analytisch. Hier sitzt das Sprachzentrum, das die Macht über den Wortschatz und die Sprache hat. Links werden unsere Gedanken verarbeitet. Es gibt linkshirnige und rechtshirnige Menschen mit unterschiedlich ausgeprägter Dominanz. Die „Linkshirnigen“ sind hauptsächlich sachlich/analytisch geprägt. Ihnen mangelt es dafür an Kreativität, Gefühl und Überblick. Bei „Rechtshirnigen“ ist Kreativität, Gefühl, Intuition, künstlerische Veranlagung stärker ausgeprägt als das analytische Denken.
Entspricht ein Ereignis oder eine Information nicht den eigenen Erwartungen, kann es sein, dass man das Gegenteil davon zu sehen oder zu hören glaubt. Der sogenannte Links-rechts-Konflikt entsteht deshalb, weil unsere beiden Gehirnhälften miteinander konkurrieren. Wenn wir das Wort ‚Rot‘ lesen, das jedoch in grünen Buchstaben gedruckt ist, möchte die rechte Gehirnhälfte die Farbe nennen, aber die linke besteht darauf, das Wort zu lesen. Ist man dabei auch noch unkonzentriert, ist der Konflikt möglicherweise nicht lösbar. (Weiter unterhalb der Werbung…)

Ein anschauliches Beispiel ist mir bei der Recherche zu meinem Buch über Flugunfälle untergekommen: Garuda 152 war ein Airbus A300 der Garuda Indonesian Airways. Er war mit 234 Personen an Bord in Jakarta zu einem Inlandsflug nach Medan gestartet. Im Anflug auf Piste 05 des Zielflughafens unterliefen dem Fluglotsen von Medan Approach mehrere Verwechslungen von Rufzeichen. Auch schien er sich mit Links- und Rechtskurven unsicher zu sein, was zu mehrfachen Rückfragen führte. Die Verwirrung könnte auch auf das Radarbild der Flugsicherung zurückzuführen sein, welches sich nur alle 12 Sekunden erneuerte und womöglich neue Überraschungen bescherte. Hier ein Auszug aus dem Transkript des Cockpit Voice Recorders von Garuda 152:

MEDAN:         Turn left heading a …… 240, 235. Now vectoring for intercept ILS 05.
GIA 152:         Roger, heading 235. Confirm we cleared from a ….. mountainous area?
MEDAN:        Affirm sir! Continue turn left on heading 215.
GIA 152:         On heading 215, GIA.
MEDAN:        GIA 152, turn right heading 046, report established on localizer.
GIA 152:         Turn right heading 040, GIA 152, check established.
MEDAN:        Turning right sir.
GIA 152:         Roger, 152.
MEDAN:        152, confirm you’re making turning left now?
GIA 152:         We are turning right now.
MEDAN:        152 OK, you continue turning left now.
GIA 152:         A …… confirm turning left? We are starting turning right now.
MEDAN:        OK …… OK. GIA 152 continue turn right heading 015.
GIA 152:         Aaaaaa. Allahu-Akbar.

Zehn Sekunden später schlug der Airbus auf einem bewaldeten Hügel unweit der Ortschaft Pancur Batu auf, sieben Meilen im Endanflug. Als Ursache nennt die Untersuchungskommission die Verwirrung über links und rechts, so dass die Piloten im Sinkflug die Höhe aus den Augen verloren. Da wegen Waldbränden Rauch alle Konturen des Landes verhüllten, hatte die Crew keine Referenz zum Boden. Niemand überlebte den Aufschlag.

Wissenschaftliche Erkenntnis ist, dass 20 bis 30 Prozent der Menschen mit rechts und links auf dem Kriegsfuß stehen. Rund 120 Mal im Jahr werden Patienten in deutschen Krankenhäusern auf der falschen Seite operiert. Da wird zum Beispiel eine gesunde Niere entfernt oder ein gesunder Lungenflügel, oder das falsche Auge wird operiert. Dabei spielen Probleme mit der Rechts-Links-Unterscheidung oft eine wesentliche Rolle. Verwirrung kann auch entstehen, wenn der Patient vom Rücken auf den Bauch gedreht oder ein Röntgenbild seitenverkehrt aufgehängt wird. Ärzte und Krankenschwestern müssen täglich zahlreiche Rechts-Links-Informationen verarbeiten und etliche mentale 180-Grad-Rotationen vornehmen. Und Rechts-Links-Schwächen“ gibt es eben auch bei Krankenhausmitarbeitern. Das Institut für Patientensicherheit empfiehlt daher die Markierung der Operationsstelle und ein „Time-Out vor dem ersten Schnitt“. Das gesamte OP-Team hält dazu noch einmal inne und prüft, ob tatsächlich der richtige Körperteil unter dem Messer liegt.

Andreas Fecker

Eine Antwort zu “Luftpost 308: Linkshirn, Rechtshirn”

  1. Andreas Fecker sagt:

    Diese rechts-links Geschichte kann schon mal richtig ins Geld gehen: Am 15. Januar 2009 kollidierte die rechte Flügelspitze einer Bombardier Dash-8 von Air Marshall Islands mit einem Antennenmast. Das beschädigte Teil musste in Kanada bestellt werden. Als das Ersatzteil geliefert wurde, stellte sich heraus, dass jemand rechts mit links verwechselt hatte, wahrscheinlich weil er vor dem Flugzeug stand. Es dauerte Wochen, bis die Reparatur beendet war und die Insulaner wieder auf die lebenswichtige Flugverbindung zählen konnten.