Luftpost 307: Abschuss

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Foto: Fecker

Der Iran befindet sich seit Jahrzehnten in einem asymmetrischen Krieg gegen die USA. Gründe dafür gibt es genug: Die amerikanische Unterstützung des Schah Reza Pahlewi, die Skepsis gegen den Religionsführer Ayatollah Kohmeini 1979, die Ablehnung der islamischen Revolution, die misslungene Befreiung der von Teheran festgehaltenen 52 amerikanischen Botschaftsgeiseln 1980, verschiedene Nadelstiche beider Seiten, und neuerdings die einseitige Aufkündigung eines laut IAEO funktionierenden Atomabkommens und neuer Sanktionen durch Trump.

Unvergessen ist jedoch der Abschuss eines iranischen Airbus A300. Iran Air IR655 startete am 03.07.1988 um 10:17 Uhr vom iranischen Bandar Abbas in Richtung Dubai. Um 10:19 Uhr meldete die Crew das Passieren von 3500 Fuß im Steigflug auf 14.000 Fuß auf der Luftstraße A59. Um 10:24 Uhr überflog der Airbus A300 MOBET Waypoint und meldete dies an Teheran Area Control Center.

Während diesen letzten Minuten war IR655 mehrfach von einem amerikanischen AEGIS-Kreuzer angesprochen worden. Etwa fünfmal auf einer UHF Frequenz, die in zivilen Maschinen nicht vorhanden ist, und zweimal auf der internationalen VHF Notfrequenz. Beim ersten Mal war der Pilot gerade selbst auf der Company Frequenz am Sprechen, das zweite Mal konnte er es möglicherweise hören. Es ist aber nicht sicher, ob die Crew sich überhaupt angesprochen fühlte, denn sie war auf einem Routineflug auf der Mitte einer veröffentlichten Luftstraße zu derselben Zeit wie an jedem Tag in den vergangenen zwei Jahren.

Die Offiziere an Bord des Raketenkreuzers USS Vincennes jedenfalls waren nervös wegen der internationalen Spannungen mit Irak. Ein Jahr zuvor hatte eine irakische Mirage die USS Stark angegriffen, weshalb die US Navy Maßnahmen zur Selbstverteidigung angekündigt hatte, sollten ihre Schiffe trotz Warnung von feindlichen Kampfflugzeugen angegriffen werden. Da der mit 290 Personen besetzte Airbus die Warnung, so er sie denn überhaupt gehört hatte, nicht auf sich bezog und nicht reagierte, und da die Offiziere der Luftverteidigung der festen Überzeugung waren, es müsse sich um einen feindlichen Jagdbomber handeln, der auch alle vorangegangenen Warnungen ignoriert hatte, klassifizierte das automatische Selbstverteidigungssystem der USS Vincennes das Flugzeug als Bedrohung und feuerte zwei Raketen ab. Tödlich getroffen wurde der vollgetankte Airbus mit 290 Menschen an Bord zerrissen.

Und nun? In der gegenwärtigen Krise zwischen Iran und den USA befindet sich die iranische Armee im Verteidigungszustand. Ihr höchster General wurde mit einer amerikanischen Drohne im Irak getötet (warum eigentlich im Irak?). Der Anschlag gegen einen weiteren iranischen Kommandeur im Jemen war erfolglos. Die Trumpsche Drohung, 52 Ziele im Iran anzugreifen, versetzte die iranischen Luftverteidigung in Alarmzustand. Ab hier scheinen sich die Abläufe zu gleichen. Angeblich wurde die ukrainische Boeing angesprochen, hatte aber nicht geantwortet. Offenbar startete die Maschine mit einer Stunde Verspätung. Und offenbar gab es keinen Austausch zwischen Flugsicherung und Luftverteidigung. Angeblich wurde die Boeing auch für eine amerikanische Cruise Missile gehalten? Schließlich hatte der Iran wenige Stunden zuvor selbst amerikanische Ziele im Irak angegriffen. Mit einem Gegenschlag musste daher gerechnet werden.

Unabhängig vom Ergebnis der laufenden Nachforschungen können wir versuchen, uns in die Psyche des Offiziers hineinzuversetzen, der die Entscheidung zum Abschuss treffen musste. Dabei spielt es nur eine untergeordnete Rolle, in welcher hierarchischen Stellung diese Person sitzt. Die Flugabwehr weiß, dass sie selbst eins der ersten Ziele sein wird, die es im Falle eines feindlichen Angriffs auszuschalten gilt. Der Mann am Startknopf muss abwägen, schieße ich oder sterbe ich? Lasse ich einen (vermeintlichen) Angriff durchgehen, oder handle ich nach Ausbildung? Schließlich ist er darauf eingeschworen, sein Land und seine Führung zu verteidigen. Einmal von der feindlichen Absicht überzeugt, weiß er auch, dass sein Flugabwehrradar von einem angreifenden Kampfflugzeug oder einem unbemannten Flugkörper geortet und mit einer Rakete bekämpft werden kann. Mit der Aktivierung seines Radars verrät er seine Position. Ihm bleiben danach nur wenige Sekunden Zeit, die Flugabwehrrakete zu starten und einem Angriff zuvorzukommen. Im vorliegenden Fall waren es sogar zwei Raketen.

Und hier liegt das Problem. Den Luftraum für zivilen Flugverkehr nicht zu sperren erwies sich als fatal. Die ganze Nacht über waren in Teheran zivile Flugzeuge gestartet, einschließlich einer Maschine der Lufthansa. Um sechs Uhr morgens war Schichtwechsel in der Flugabwehrbatterie. Angeblich wusste die neue Schicht nicht, dass weiterhin ziviler Luftverkehr stattfand. Die ukrainische Boeing war wegen ihrer Verspätung die erste, die nach 6 Uhr startete. Der iranische Kommandeur übernahm inzwischen öffentlich die Verantwortung für den Abschuss und fügte hinzu, „Ich wünschte ich könnte sterben!“ Stattdessen sind 176 Menschen tot, die sicherlich weiterleben wollten.

Aufschlussreich dabei ist: Während die Iraner sich nach Tagen voller Lügen zu einem Geständnis über den Abschuss der ukrainischen Boeing gequält hatten, wird man auf eine ähnliche Einlassung der pro-russischen Separatisten in der Ukraine über den Abschuss der malaysischen Boeing vergeblich warten, trotz erdrückender Beweise.

Andreas Fecker

Eine Antwort zu “Luftpost 307: Abschuss”

  1. Andreas Fecker sagt:

    Zu dieser Luftpost erhielt ich etwa ein Dutzend Emails. Manche waren voll des Lobs, andere beurteilten meine Schilderung als voreilig. Aber ist das nicht genau das Dilemma, in welchem sich ein Offizier befindet, der nur Sekunden hat, um in einer solchen Krisensituation die richtige Entscheidung zu treffen?