Luftpost 281: Briefwechsel

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Hildegard Werth, Wissenschaftsjournalistin – Foto: Werth

Im Juli 2019 feiert die NASA den 50. Jahrestag der ersten Mondlandung. Das Apollo- Programm hatte die Welt in Atem gehalten. Und für manch einen das ganze Leben verändert.

Als Neil Armstrong am 21. Juli 1969 um 02:56:20 Uhr ( UTC ) als erster Mensch seinen Fuss auf den Mond setzt, fiebern 600 Mio. Fernsehzuschauer auf der ganzen Welt mit. Einer von ihnen ist der 11-jährige Gymnasiast Thomas Reiter aus Neu-Isenburg. Fernsehgeräte sind damals noch rar, und so verbringt Thomas mit seinem Vater die Nacht der Mondlandung bei Nachbarn, die bereits ein Farbfernsehgerät besitzen.

Neil Armstrong – Foto: Public Domain

Schon in der Grundschule hatte sich Thomas für die Raumfahrt interessiert. Er bastelt Modelle von Raketen und Raumkapseln und verschlingt alles, was er an Lesestoff über den Weltraum in die Finger kriegt. Neil Armstrong ist sein grosses Vorbild, und insgeheim wünscht er sich, einmal mit eigenen Füssen auf einem anderen Himmelskörper zu stehen.

Nach der erfolgreichen Landung auf dem Mond fasst er sich ein Herz und schreibt einen Brief an sein Idol im fernen Amerika. Aber mit den Mitteln der 1960-er Jahre ist es ihm unmöglich, die Anschrift des Astronauten oder die Kontaktadresse der NASA herauszufinden. So dauert es mehr als zwei Monate, bis er den Brief abschicken kann.

Sehr geehrter Herr Armstrong!                                                                            27.9.

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem großen Erfolg! Der Brief ist zwar ein bißien spät, aber es dauerte eine ganze Zeit, bis ich Ihre Anschrift bekam. Ich freute mich ebenso als Sie, als Sie die Oberfläche des Mondes betraten. Wie gerne wäre ich dabei gewesen. Dafür sah ich aber die Direktübertragung. Ich verfolgte den ganzen Flug voll Spannung.-Wenn ich erwachsen bin, möchte ich auch einmal so ein Astronaut wie Sie werden. Es ist sicher sehr schön, im Weltall mit einem Raumschiff zu fahren. Bitte richten Sie auch herzliche Glückwünsche an Herr Aldrin und Herr Collins aus.- Nun hätte ich zwei Wünsche. Bitte schicken Sie ein Autogramm von Ihnen, Herr Aldrin und Herr Collins, und wenn es möglich ist solch ein Abzeichen, welches Sie auf Ihrem Raumanzug trugen. Wenn es Geld kostet, dann schreiben Sie mir.

Viele Grüße
Thomas Reiter ( 11 Jahre )
PS. Ich würde mich freuen, Sie auf Ihrem Deutschlandbesuch kennenzulernen.

 

Brief des damals 11-jährigen Thomas Reiter an den Astronauten Neil Armstrong. – Copyright Reiter, Werth

Vater Rudi entdeckt ein paar Rechtschreibfehler und lässt Thomas den Brief ein zweites Mal schreiben. Wochenlang hatte auch er sich bemüht, die Adresse des Mondastronauten herauszufinden – vergebens. Schließlich schickt Thomas den Brief an eine Zeitschrift, die viel über die Mondlandung berichtet hatte. Und hofft, dass die Redaktion den Brief weiterleitet. Es dauert 26  Jahre und vier Monate, bis er eine Antwort bekommt.

Selbst Astronaut zu werden, erscheint dem jungen Thomas als ein unerfüllbarer Traum. In den 1960-er Jahren haben nur sowjetische oder US-amerikanische Staatsbürger die Chance, in den Weltraum zu fliegen, und die meisten von ihnen sind Militärpiloten. Trotz aller Hindernisse hält Thomas an seinem Traum fest. Mit 14 Jahren lernt er Segelfliegen. Später, nach dem Abitur, wird er bei der Bundesluftwaffe als Pilot ausgebildet und macht an der Hochschule der Bundeswehr sein Diplom als Ingenieur für Luft- und Raumfahrttechnik.

Ende der 1970-er Jahre öffnet sich der Weg in den Weltraum auch für Astronauten, die nicht Bürger der USA oder der Sowjetunion sind. 1978 fliegt im Rahmen des sowjetischen Interkosmos-Programms der DDR-Bürger Sigmund Jähn als erster Deutscher ins All. Und fünf Jahre später, 1983, der Physiker Ulf Merbold als erster westdeutscher Astronaut mit dem Space Shuttle.

Thomas Reiter ist inzwischen ein erfahrener Testpilot mit 2300 Flugstunden auf fünfzehn  verschiedenen Kampfflugzeugen. Als die europäische Raumfahrtorganisation ESA Mitte der 1980-er Jahre die erste Astronautenauswahl durchführt, erfüllt er alle Kriterien. Nach einem Auswahlverfahren mit 22.000 Kandidaten bekommt Reiter einen der begehrten Astronauten-Verträge und startet im September 1995 zusammen mit zwei russischen Kosmonauten zu einem Langzeitaufenthalt auf der Raumstation Mir.

Es ist das Jahr, in dem Russland und die USA ihre Zusammenarbeit zum Bau der Internationalen Raumstation beginnen und die ersten US-Raumfähren an der Mir andocken. Mit einer Antwort auf seinen Brief aus dem Jahr 1969 hat Thomas Reiter schon lange nicht mehr gerechnet, da bringt im November 1995 die Crew der Raumfähre Atlantis eine besondere Überraschung mit:

Congratulations!                                                                                           November 1995

If all goes well, by the time you receive this message, your dream of a quarter century ago will have come true. It has been many years since we corresponded, and this time it is my privilege to initiate this message. I have no doubt, that your enthusiasm and exitement is greater now than it was when you wrote to me. I send my sincere best wishes fort the success of your flight, the completion of all flight objectives and your successful return to earth.

Neil

Reiters Ehefrau Consuela hatte die erste Version des ursprünglichen Briefes, die der Vater all die Jahre lang aufbewahrt hatte, zur NASA geschickt, ohne dass Thomas Reiter davon wusste. Und Neil Armstrong ließ es sich nicht nehmen, den Brief des Jungen aus Deutschland, der ihn womöglich zuvor nie erreicht hatte, zu beantworten. Beide Briefe sind heute im Technik Museum in Speyer ausgestellt.

Thomas Reiter verbringt ein halbes Jahr auf der Raumstation Mir und fliegt später mit dem Space Shuttle Discovery für ein weiteres halbes Jahr zur Internationalen Raumstation ISS. Mit 350 Tagen in der Schwerelosigkeit und 5600 Erdumrundungen ist er lange Zeit der europäische Rekordhalter im Weltraum. Und Ende Juli 2010, 41 Jahre nach dem ersten Kontaktversuch, lernen sich die beiden Briefpartner endlich auch persönlich kennen – Happy End in einem Fernsehstudio in Salzburg ( Foto Servus TV ).

Alexej Leonow, Neil Armstrong und Thomas Reiter im August 2010 bei einer Talkshow im „Hangar 7“ in Salzburg – Copyright Servus TV

Eine Antwort zu “Luftpost 281: Briefwechsel”

  1. Joachim Mahrholdt sagt:

    Wie immer eine tolle Geschichte, mit der uns die „Luftpost“ am Samstag überrascht. Und die Kollegin Werth ist einer der kompetentesten ihres Faches. Merci! Herzlich Joachim Mahrholdt