Luftpost 261: Summa Diligentia

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Autor Andreas Fecker vor dem Triebwerk einer Boeing 747-8 – Foto: Jochen Mahrholdt

Wer kennt nicht das Klischee, die Amerikaner machten alles nach Vorschrift? Improvisieren ginge nicht? Auftragstaktik sei bei denen fehl am Platz? Wenn es für etwas keine Checkliste gibt, seien die Amis hilflos? Der Wahrheitsgehalt dieses Vorurteils ist heute nicht das Thema. Ich möchte vielmehr auf den Grad der Sorgfalt zu sprechen kommen, mit dem wir durchs Leben gehen. Wie oft lassen wir „5 gerade sein“? Wie oft sagen wir salopp „sitzt, passt, wackelt und hat Luft“, wenn wir uns zu helfen wussten und eine Arbeit – nicht ganz sachgemäß zwar, aber erfolgreich – zu Ende gebracht haben? Hier ist ein Beispiel dafür, wo eine pragmatische Lösung zwar Zeit und Geld sparte, aber 271 Menschen das Leben kostete.

1 – Beginnen wir in der Fuhrparkabteilung eines Flugzeug-Wartungsbetriebs in Tulsa, Oklahoma. Dort gibt es Gabelstapler jeder Größe. Das Triebwerk einer DC-10 wiegt netto etwas über fünf Tonnen. Der einzige Gabelstapler, der am 29. März 1979 ganztägig zur Verfügung stand, war ein Monster mit acht Tonnen Tragkraft. Und der hatte leider den Nachteil, dass bei längerer Beanspruchung die Hydraulik ein wenig nachgab. Nur ein wenig. Aber das konnte man ja manuell justieren.

2 – Bei der Grundüberholung eines Flugzeugs werden auch die Triebwerke abgehängt. Das Handbuch des Herstellers sieht vor, zuerst das Triebwerk abzumontieren und danach auch noch die Aufhängung. Um aber Zeit und Kosten zu sparen, ließ sich American Airlines von ihrem Technik-Chef ein vereinfachtes Verfahren genehmigen. Die Aufhängung sollte an der Triebwerks-Karkasse bleiben, während die ganze Einheit von der Tragfläche entfernt wird. So geschah es auch an jenem 29. März in der Werft von American Airlines in Tulsa. Mit dem Gabelstapler wurde das Triebwerk gehalten, während es mitsamt dem Träger abmontiert wurde. Das ist keine Arbeit von Minuten, sondern von Stunden.

3 – Während dieser Prozedur wurde die Schicht gewechselt. In dieser Zeit blieb der Gabelstapler mit der Triebwerkslast unbesetzt und unbeobachtet. Wegen des nachlassenden Hydraulikdrucks des Staplers senkte sich die Gabel um 2,5 cm, das schwere Triebwerk kippte leicht zur Seite, weil es noch nicht vollständig abmontiert war.

4 – Von außen war nur eine große Beule in der Verkleidung zu sehen. Im Inneren der Aufhängung waren jedoch einige Teile angebrochen. Das blieb unbemerkt, auch nachdem das Flugzeug wieder in den Passagierbetrieb genommen wurde.

5 – Bei jedem Flug arbeitete das Metall in der Aufhängung. Gigantische Kräfte zerrten an der Struktur. Ein 100 Tonnen schweres Flugzeug verzeiht keine fehlerhaften Aufhängungen an den Triebwerken mit fünf Tonnen Eigengewicht. Die Brüche wurden größer und schließlich riss das Triebwerk zwei Monate später während eines Starts ab und fiel zurück zur Erde, nicht ohne noch große Schäden zu verursachen. Die DC-10 der American Airlines, Flug AA191 stürzte 1500 m hinter der Piste in einen Trailerpark. An Bord waren 271 Passagiere auf dem Weg von Chicago nach Los Angeles. Sie hatten keine Chance. Am Boden starben zwei Bewohner. Der für die Überwachung der Wartung zuständige Chefmechaniker brachte sich kurz vor der Gerichtsverhandlung um.

„Summa parsimonia summa diligentia“ sagte einst Cicero, und sprach damit beide Tugenden an, die sich gegenseitig nicht ausschließen dürfen: „Höchste Sparsamkeit, höchste Sorgfalt“.

Andreas Fecker