Luftpost 245: Opferklau

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Helle Aufregung zwischen Nordkap und Gibraltar: Ryanair hat sich mal wieder daneben benommen. Eigentlich war es einer ihrer Passagiere, aber die schwache Reaktion der Crew hat die Gemüter noch angeheizt, statt sie zu beruhigen. Dass unsere Gesellschaft nach und nach verroht, ist sicher kein Geheimnis mehr. Höflichkeit, rücksichtsvoller Umgang miteinander weichen immer mehr einer brutalen Ellenbogengesellschaft, die vor persönlichen Beleidigungen nicht haltmacht. Dieser Querschnitt durch die Bevölkerung spiegelt sich auch in der Zusammensetzung der Passagiere in Flugzeugen wider, besonders seit Billigflieger zunehmend von Hooligans, primitiven Rassisten und Egomanen heimgesucht werden, die meinen, mit ihren 20-Euro-Tickets das ganze Flugzeug gekauft zu haben.

Vor Wochenfrist ging ein Fall durch die Presse, in dem ein Ryanair-Passagier beim Einsteigen in Spanien eine 77-jährige dunkelhäutige Passagieren als hässlichen schwarzen Bastard beschimpft hatte und sich weigerte, neben ihr zu sitzen. Die Dame war auch noch körperbehindert und konnte ihm nicht schnell genug Platz machen, als er sich an seinen Fensterplatz zwängen wollte. Wörtlich sagte er: „I don’t care whether she’s fucking disabled or not – if I tell her to get out she gets out.” Ja geht’s noch?

Andere Passagiere mischten sich ein, forderten, den Mann aus dem Flugzeug zu werfen. In der Tat gibt es Fälle, in denen pöbelnde Mitflieger schon vor dem Start aus der Maschine entfernt wurden. Wer sich in diesem Fall schließlich durchgesetzt hatte, war der Pöbler. Die dunkelhäutige Lady musste weichen!

Reisen mit Stil in der Business Class einer  A350 von Qatar Airways. – Foto: Bildarchiv Fecker

Im Internet macht eine Geschichte die Runde, wo in einem ähnlichen Fall eine Afrikanerin in die Erste Klasse umgesetzt wurde, damit sie nicht länger neben dem Rassisten sitzen musste, der sie als stinkende Hyäne bezeichnete. Opferklau, nennt man das. Innerhalb von Konflikten und sich aufschaukelnden Prozessen kann hiermit das Opfer von Beleidigungen oder Gewalt aus der Situation herausgenommen werden, ohne den Täter direkt anzugehen. Damit ist erstens die Deeskalation sichergestellt, zweitens erhält der Täter eine Art erzieherische Maßnahme. Und schließlich herrscht in einer Premium-Klasse eine geradezu versöhnliche Atmosphäre. Eine vergleichbare Situation habe ich zumindest dort noch nie erlebt.

Da die beschriebenen Fälle aber immer häufiger in ausgebuchten Billigfliegern passieren, die weder Business noch Erste Klasse haben, bleiben nur drastische Sofortmaßnahmen. Wird ein Passagier nämlich von seinem Flug in den Urlaub oder zurück nach Hause ausgeschlossen, hat er Zeit, über sein Verhalten nachzudenken. Umso besser, wenn es auch noch im Geldbeutel spürbar ist. Instant Karma nennt man das. Ryanair gab zwar inzwischen bekannt, dass der Name des Passagiers an die Gerichtsbarkeit in London gemeldet wurde. Doch bis die Zuständigkeiten zwischen Abflugort, Zielort und dem Zulassungsort des Flugzeugs (Spanien, England und Irland) geklärt sind und der Fall verhandelt wird, vergeht Zeit. Das Schuldbewusstsein schwindet ebenso wie das öffentliche Interesse. Zuständig war zur Zeit des Zwischenfalls letztendlich der Flugkapitän. Er allein muss die Verantwortung übernehmen, den Täter aus dem Flugzeug zu entfernen, vorausgesetzt er wird von den Flugbegleitern darüber informiert. Mehr noch, er hat nicht nur die Befugnis, sondern sogar die Pflicht dazu. Der Applaus der Passagiere wäre ihm (oder ihr) in diesem Fall sicher gewesen, was auch noch einen möglichen Tadel der Geschäftsführung verhindert hätte. Es wäre auch ein Mittel gewesen, das ramponierte Image von Ryanair zu verbessern. So aber ist es nur ein Grund mehr, nicht mit dieser Airline zu fliegen.

Ärgerlich und wenig hilfreich ist in jedem Fall das Filmen und Posten durch unbeteiligte Passagiere. Es setzt sowohl den Grobian als auch das Flugpersonal in einer schwierigen Situation zusätzlichem Stress aus.

Andreas Fecker

3 Antworten zu “Luftpost 245: Opferklau”

  1. Markus sagt:

    Lieber Andy, Treffer, Ryanair steht bei mir auf der No-Fly Liste. Wem ich noch nicht einmal checked-in Luggage anvertrauen kann, dem vertraue ich erst recht nicht mein Leben an.

    Grüsse
    Markus

  2. Joe sagt:

    Hi Andy, sehr guter Artikel (ich meine, Deine Artikel sind immer gut, aber dieser trifft den Nagel auf den Kopf!).
    Leider muss ich Dir etwas Widersprechen, dass es in der Businessklasse nicht vorkommt….. Ein Freund von mir „musste“ einmal einem Businesskunden erklären, dass „er für seinen Flug ein anderes Flugzeug nehmen werde“… Diese neue „Kultur“ geht leider immer mehr durch alle Schichten – arbeiten wir daran, dass es sich wieder ändert…..

    Joe (ein Kapitän ?, der solch eine „Etikette“ nicht dulden würde)

    • Andreas Fecker sagt:

      Stimmt. Dazu fällt mir gerade ein gewisser Gérard Depardieu ein, der im Flugzeug in den Gang urinierte …