Luftpost 243: Mist gebaut

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Foto: Bildarchiv Fecker

Es passierte mir selbst, und ich hatte lange daran zu tragen. Ich bin immer noch froh, dass alles gut ausgegangen ist. Wie oft hört man das Wort „Ausgerechnet!“, wenn die unwahrscheinlichsten Zufälle im Spiel sind?

Nach fünf Wochen Urlaub in Japan fand ich mich am Morgen des 07.10.1977 im Tower bei der Arbeit auf der Position des Koordinators. Es war fast nichts los, und so erzählte ich nebenher von meiner Reise. Die erste Maschine des Tages war ein Outbound, das heißt sie startete bei uns und flog zu einer anderen Air Base. Als sie abhob trug ich die Startzeit ein, gab sie der Flugüberwachung (AIS) durch, zog den Kontrollstreifen aus dem Halter und legte ihn ab. Kontrollstreifen waren Dokumente, die dann am Abend gezählt und ein Jahr lang aufgehoben wurden. Die zweite Maschine war ein Übungsflug. Der zweisitzige Starfighter würde hier starten, eine bestimmte Route abfliegen und wieder hier landen. Dazu trug man die Startzeit ein, addierte die geplante Streckenzeit von 1 Stunde und 10 Minuten hinzu, gab die Zeit an AIS durch und legte den Kontrollstreifen zur Überwachung in das Streifen-Rack der Air Position. Dort hatten wir Fluglotsen den zu erwartenden Verkehr stets im Blick, sortiert nach der voraussichtlichen Reihenfolge der Landungen. So hätte es zumindest laufen sollen. Doch in meiner Unkonzentriertheit behandelte ich den Kontrollstreifen genauso wie den ersten. Ich trug die Startzeit ein, zog ihn aus dem Halter und legte ihn ab, nachdem ich AIS die Zeit durchgegeben hatte. Die restlichen Maschinen des Vormittags behandelte ich korrekt, alle wanderten mit errechneter Ankunftszeit in das Ankunftsrack meines Partners.

Zwei Stunden später war das Rack leer, alle Maschinen waren wieder bei uns gelandet. So schien es zumindest. Dann rief die Technik an und fragte, wo wir den Zweisitzer 2818 hingestellt hatten. Ich sagte den Technikern, dass wir damit nichts zu tun hätten. Die Piloten parkten ihre Maschinen selbständig dort, wo sie sie übernommen hatten. Dann rief AIS an und fragte nach der Landezeit der 2818. „Die habe ich euch doch durchgegeben.“ „Egal, zumindest habe ich sie nicht. Wann ist sie denn gelandet?“ „Moment.“ Ich kramte das Bündel der abgelegten Kontrollstreifen hervor und verstand sofort, dass da etwas schiefgelaufen war. „Ich rufe zurück.“ Auf dem Streifen fehlte die Zeit, wo der Pilot zur Landung hereingerufen hatte (Initial Contact time). Die Box, wo man die Landezeit einträgt, war ebenfalls leer. Der Starfighter war seit einer Stunde überfällig! Die Crew könnte irgendwo gelandet sein. Sie könnte aber auch … Diesen Gedanken wagte ich kaum zu Ende zu denken!

Jetzt begann etwas, was wir schon vor einer halben Stunde hätten machen sollen. Alle Flughäfen Deutschlands wurden aufgefordert, auf Notfrequenzen das Flugzeug zu rufen. Eine Suchmeldung wurde an alle Flugsicherungsstationen geschickt. Schließlich erhielten wir Gewissheit: Die 2818 war bei Bad Schwalbach in einen Vogelschwarm geraten und abgestürzt. Beide Piloten konnten sich mit dem Schleudersitz retten. Ein Bauer beobachtete den Rettungsausstieg während der Arbeit auf seinem Feld. Er fuhr mit dem Traktor zu den beiden Piloten und fragte, ob er sie irgendwo hinbringen könne. Sie lehnten dankend ab. „Nein, lieber nicht. Da kommt sicher gleich ein Rettungshubschrauber, der uns aufnimmt und in ein Krankenhaus zu einer ersten Untersuchung fliegt. Aber hier ist die Telefonnummer unseres Geschwaders. Wenn Sie dort anrufen und ausrichten könnten, dass soweit alles in Ordnung ist?“

Handys gab es damals noch nicht, also fuhr der Bauer nach Hause und telefonierte. Die beiden Piloten hatten einen unerschütterlichen Glauben in die Effektivität der Flugüberwachen und unsere öffentlichen Dienste. Auch als die Polizei kam, ließen sie sich nicht helfen. Zu groß war die Sorge, dass durch die Stauchung der Wirbelsäule beim Ausschuss Schäden am Rückenmark aufgetreten waren.

Es dauerte zwei Stunden, bis wir aus einem Krankenhaus die Meldung erhielten, dass beide Piloten unverletzt und wohlauf waren. Bis dahin hatte ich natürlich Angst gehabt, dass durch meinen Fehler und die verschleppte medizinische Versorgung ein fataler Ausgang hätte eintreten können. Ich ging zu meinem Chef, meldete ihm den Zwischenfall und nahm alle Schuld auf mich. Er beschloss, die Sache bei glimpflichem Ausgang nicht weiter zu verfolgen. Ich würde das sowieso nie vergessen.

Manche Zufälle können gar nicht dumm genug ablaufen, und man tut gut daran, stets alle Möglichkeiten in sein Handeln einzubeziehen, und seien sie noch so unwahrscheinlich. Das habe ich damals gelernt und für den Rest meines Lebens verinnerlicht.

Andreas Fecker

Eine Antwort zu “Luftpost 243: Mist gebaut”

  1. Hans-Georg Eul sagt:

    Glück gehabt und gut reagiert. Alle Achtung ??