Luftpost 235: Vertrauen

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Andreas Fecker vor einem Rolls Royce Triebwerk – Foto: Bildarchiv Fecker

In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts beschloss ein englischer Lord mit seinem Rolls Royce „Silver Ghost“ das britische Empire zu bereisen. Am Steuer saß sein Butler. Irgendwo in Kaschmir brach die Kurbelwelle. Der Butler ließ das Fahrzeug zu einer Werkstatt schleppen, der Lord musste sich mit einem einfachen Gästehaus zurechtfinden. Die Werkstatt sah sich außerstande, den Rolls zu reparieren. Also kabelte der Besitzer an das Mutterhaus und bat um Ersatzteile. Es dauerte ein paar Tage, da landete ein Flugzeug unweit der Werkstatt. Zwei Mechaniker aus dem Stammwerk machten sich über das Fahrzeug her. Bald darauf konnte der Lord seine Weiterreise aufnehmen.

Zurück in England schrieb er an Rolls Royce, bedankte sich für den Support und wollte nun die Rechnung begleichen. Auf eine Antwort wartete er vergeblich. Er hätte sich in seiner lordschaftlichen Ehre gekränkt gefühlt, seine Schulden nicht beglichen zu haben, also reiste er nach Derby und sprach persönlich mit der Geschäftsleitung von Rolls Royce. Dort wusste man angeblich nichts von einem solchen Vorfall, auch nicht, als er den Verlauf samt Datum detailliert schilderte. Schließlich verabschiedete man ihn mit einem freundlichen „Eure Lordschaft, bei allem Respekt, die Geschichte kann so nicht passiert sein. Ein Rolls Royce geht nicht kaputt.“

Soweit, so gut. Als ich den Namen des Lords recherchierte, stieß ich auf mehrere Versionen dieser netten Geschichte. Mal passierte sie in Indien, mal in Australien, mal in Südfrankreich, mal in der Schweiz. Es ist also offenbar eine Legende, die ein Eigenleben entwickelt hat. Die britische Edelfirma kultiviert sie auch gerne, pflegt sie doch das Vertrauen in die unverwüstliche Technik und Zuverlässigkeit britischer Qualitätsarbeit.

Von diesem Vertrauen profitiert natürlich auch die Rolls Royce Triebwerkssparte. Ihre Triebwerke sind für fast alle gängigen Flugzeugtypen zu haben. Qantas, Air New Zealand, British Airways, Virgin Atlantic und Norwegian haben derzeit allerdings riesige Probleme mit den Trent 1000 Engines des Traditionsherstellers. Norwegian muss sogar die Triebwerke all seiner 21 Dreamliner austauschen. Air New Zealand muss die Wartungsintervalle ihrer Turbinenschaufeln von 2000 Flüge auf 300 verkürzen. Außerdem darf sie nur noch Routen fliegen, entlang derer sie innerhalb von 140 Minuten einen geeigneten Ausweichflughafen erreichen kann. Das führt für eine Airline, die in Neuseeland beheimatet ist, zu gewaltigen Umwegen. Bisher waren ihre Dreamliner ETOPS-330-zertifiziert, das reichte fast für den gesamten Pazifik. Die neuen Auflagen und Einschränkungen bringen nicht nur den Flugplan durcheinander. Viel schlinmmer ist, dass sie das Vertrauen der Passagiere in die Zuverlässigkeit der Airline erschüttern, der sie bisher vertraut haben.

Andere Zwischenfälle verschärften das Problem: Erst vor wenigen Wochen explodierte das linke Triebwerk einer Boeing 737 der Southwest Airlines. Turbinenteile durchschlugen ein Fenster und verletzten Passagiere. Durch den Druckabfall wurde eine Frau bis zur Hüfte durch das Fenster gesaugt. Sie konnte mit vereinten Kräften beherzter Passagiere wieder hereingezogen werden, verstarb aber kurz darauf an ihren Verletzungen. Das Triebwerk war zwar nicht von Rolls Royce, aber auch für diesen Typ von CFM International waren bereits verkürzte Wartungsintervalle für die Turbinenschaufeln empfohlen worden, nachdem am 27. August 2016 es einen gleichartigen Vorfall gegeben hatte, ebenfalls bei Southwest. Als dann vergangene Woche bei einer anderen Southwest Boeing wieder ein Fenster zerplatzte, warf dies ernsthafte Fragen auf, ob die Airline an der Sicherheit spart. Das Vertrauen der Kunden ist erschüttert. Trotz des Kostendrucks immer billigerer Flugtickets werden die Fluggesellschaften alles tun müssen, um weitere Zwischenfälle zu verhindern und das Vertrauen zurückzugewinnen. Was wir in der Lebensmittelbranche beobachten, trifft offenbar auch auf den Luftverkehr zu.

Andreas Fecker