LUFTPOST 22: Das Husarenstück

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Andreas Fecker Foto: Bildarchiv Fecker

Man kann ja heute machen was man will, es bleibt nichts mehr geheim. Smartphones, Handyvideos machen jeden Menschen zum potentiellen Reporter, das Mitteilungsbedürfnis in unserer schnelllebigen Gesellschaft ist scheinbar grenzenlos. So mancher Politiker mag sich da gerne die guten alten Zeiten zurückwünschen, in denen man über peinliche Zwischenfälle den Mantel des Schweigens breiten konnte. So wurde zum Beispiel unter den Teppich gekehrt, dass bei der Aufstellung der Luftwaffe nach dem Krieg einem Piloten der Flugschein umgeschrieben wurde, der auf Grund seiner Sehschwäche niemals mehr in ein Cockpit hätte sitzen dürfen. Aber er war eben ein verdienter WK II Pilot und der damalige Verteidigungsminister ließ sich dazu breitschlagen, diese Ausnahme zu genehmigen. Den Namen des Piloten will ich hier ebenfalls verschweigen, nennen wir ihn einfach Holger S.

Als die Deutschen Geschwader die F-84 erhielten, gönnte man Holger also sein Gnadenbrot. Er hatte dicke Brillengläser und sah gerade noch bis an die eigene Flügelspitze, aber nicht mehr viel weiter darüber hinaus. Da er aber ein exzellenter Formationsflieger war, durfte er ausschließlich mit einem zweiten Mann in Formation fliegen, der auch den Luftraum für ihn beobachtete. Er musste sich nur an seine Flügelspitze hängen und dem Lead hinterherfliegen. Eines Tages aber kam das Unerwartete. Bei einem Formationsstart bekam das Führungsflugzeug Bugradflattern. Für einen normalen Startabbruch war es zu spät, der Leader musste in die Fangseile. Darin ist aber nur Platz für ein Flugzeug. Also musste Holger abheben und über die Fanganlage hinwegfliegen. Sein Kamerad kam im Gras sicher zum Stehen. Jetzt war Holger allein im Cockpit, und zu allem Überfluss auch noch in tiefhängenden Wolken. Es dauerte ein wenig, bis sich der Schock löste und Holger sich der Tragweite bewusst wurde.

„Mayday, Mayday, Mayday, ich kriege keine Geschwindigkeit. Ich kreise.“ Holger hatte alle Mühe, sein Flugzeug in der Luft zu halten, denn die Geschwindigkeit war kurz vor dem Strömungsabriss. „Ich werfe jetzt die Außentanks ab, damit ich schneller werde!“ Die Tanks zerbarsten auf einer Brücke in einer Eifelgemeinde, ohne weiteren Schaden anzurichten. In den Geschwadern der Eifel und im Hunsrück herrschte Großalarm. Die Amerikaner hatten eine F-100 in der Nähe und schickten diese zu der verirrten F-84. Als der Amerikaner Sichtkontakt hatte, meldete er der Radarleitstelle: „Ihr glaubt nicht, was ich hier sehe! Eine deutsche F-84, mit ausgefahrenem Fahrwerk, die Startklappen ausgefahren, und den Bremsschirm zieht er auch noch hinter sich her. Mal sehn, was ich tun kann.“ Über Notfrequenz nahmen er Kontakt zu Holger auf. So hörte eine ganze Region mit, was sich da zusammenbraute. Er brachte ihn als erstes dazu, den Bremsschirm abzuwerfen, dann sollte er die Startklappen einziehen. „Das Fahrwerk lassen wir mal lieber draußen, damit das mit der Landung klappt. Ich bringe Dich jetzt nach Sembach. Dort machen wir einen Formationsanflug. Ich bleibe bis zum Aufsetzpunkt neben dir. Und wenn ich die Gase wieder reinschiebe, nimmst Du die Power raus und setzt den Bock auf die Runway. Okay?“

Bald darauf wurde die Welt Zeuge, wie der Amerikaner die F-84 den Anflug hinunter begleitete. „Gut so, Landeklappen jetzt, noch 200 Meter, etwas tiefer, ganz ruhig. Du bist jetzt über der Piste, touch down now. I’m on the go.” Zehn Sekunden später kam ein herzhaftes “Oh shit!”

Zehn Minuten später rief ein wenig amüsierter Geschwaderkommodore aus Sembach seinen Bücheler Amtskollegen an. „Goddam German Pilot! Meine neue Runway, mein neuer Zaun, meine neue Anflugbefeuerung! Es wird Wochen dauern, bis das alles wieder instandgesetzt ist!“

Eingangs erwähnte ich den Mantel des Schweigens, den man damals über peinliche Zwischenfälle breiten konnte. In just diesem Fall wählte das Ministerium einen anderen Weg. Die Bild-Zeitung titelte nämlich am folgenden Tag: „Husarenstück eines tollkühnen Düsenjägerpiloten. Er rettete tausenden von Menschen das Leben.“ Heute würde man dem verantwortlichen Presseoffizier den Spindoktor-Award überreichen. Holger kam übrigens seinem Kommodore zuvor und legte seinen Flugschein auf den Tisch. „Mich siehste hier nie wieder“, soll er gesagt haben.

von Andreas Fecker