Luftpost 206: Alëuten

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David Slade, ein Freund über den Tod hinaus. Engagierter Umweltschützer und Philanthrop – Foto: Karen Andersen-Slade

Attu und Kiska waren zwei weltvergessene Inseln am äußersten Ende einer Inselkette, die sich von Alaska in einem Bogen bis nach Kamtschatka spannt. Doch unversehens gerieten sie in den Mittelpunkt des amerikanischen Interesses, als die Japaner am 7. Juni 1942 die beiden äußersten Inseln im Handstreich besetzten und befestigten. Da schrillten in Washington die Alarmglocken. Die Japaner hatten ihren Fuß auf amerikanisches Territorium gesetzt! Hektisch wurden 8000 Flugzeuge über Edmonton nach Fairbanks verlegt und von dort ihren unterschiedlichen Einsätzen zugeführt. Dazu wurde eine Kette von 90 Stationen zwischen Minnesota und Alaska benutzt. Teilweise waren das befestigte Flugplätze und Militärbasen mit Reparaturbetrieb, teilweise waren es nur Auftankstationen mit notdürftig angelegten Schotterpisten. Aber auch diese mussten ausgerüstet und logistisch versorgt werden. Die Kette dieser Northwest Staging Route setzte sich sogar in die Sowjetunion mit der Alaska-Sibirian Air Road (ALSIB) über Markovo, Yakutsk und Okhotsk fort. Dahinter steckte der Plan, die Sowjets mit 6000 amerikanischen Flugzeugen auszurüsten, um Japan und Deutschland in die Zange zu nehmen. Amerikaner flogen die Maschinen bis Fairbanks, wo sie an russische Piloten übergeben wurden. Die betrieben dazu zwei Trainingszentren in Fairbanks und in Nome. Fünf Tage hatte jeder Russe Zeit, um mit den amerikanischen Maschinen fliegen zu lernen, bevor er sie entweder an die Ostfront in den Krieg gegen Japan, oder auch an die Westfront in den Krieg gegen Deutschland brachte. So wurde ausgerechnet der unwirtlichste Teil Amerikas zum Mittelpunkt des Luftverkehrs.

Amerikanische und russische Piloten 1942 in Alaska – Foto: USDOD

Gleichzeitig wurde der Bau des Alaska Highway durch unberührte Wälder, Sümpfe und Berge vorangetrieben. 10.000 Soldaten schufteten Tag und Nacht, um eine Schneise durch Kanada zu schlagen und eine rudimentäre Piste anzulegen, die Alaska mit dem Rest der Vereinigten Staaten verband. Über diese mörderische Straße musste schweres Equipment an die nördliche Front gebracht werden. Auf den Inseln Adak, Shemya und Unalaska richteten die Amerikaner unter unsäglichen Bedingungen Luftwaffenstützpunkte ein. Es dauerte bis Mai 1943, dass es einer Streitmacht von 144.000 amerikanischen und kanadischen Soldaten in verlustreichen Kämpfen gelang, die beiden Inseln zurückzuerobern. 1500 Amerikaner starben, 3500 wurden verwundet, 1200 Männer erlitten dabei schwere Kälteschäden. Auf Japanischer Seite kamen 4300 Soldaten ums Leben. 225 amerikanische Flugzeuge wurden zerstört, ca. 20 Kriegsschiffe auf beiden Seiten versenkt.

Heute sind die meisten dieser Inseln unbewohnt. Attu und Kiska sind in die Bedeutungslosigkeit zurückgefallen. Küstenwache, Meeresbiologen, Meteorologen, die US Air Force, sowie ein paar alëutische Fischer und Robbenjäger unterhalten dort noch Siedlungen. Nach dem Krieg spezialisierte sich Bob Reeve, ein raubeiniger Buschflieger darauf, mit umgebauten DC-3 und C-46 die Alëuten zu versorgen. Auf der Inselkette herrscht das wahrscheinlich unwirtlichste Klima der Welt. An den Masten, wo man normalerweise einen Windsack aufhängt, baumelten schwere Holzfällerketten mit einem Stück Treibholz, die dem Piloten die Sturmstärke anzeigten, gegen die er ankämpfen musste. Jeden herkömmlichen Windsack aus Leinen, wie man sie von Flughäfen kennt, hätte es in der ersten Stunde zerfetzt. Oft gilt es 200 km/h Höhenwinde aus der garantiert falschen Richtung zu kompensieren. Bei der Landung machen plötzliche Seitenböen mit 45 Knoten zu schaffen, und oft zeigt die Nase des Flugzeugs 40 bis 50° in den Wind, um überhaupt Kurs zu halten. Die Sicht verschlechtert sich manchmal in 30 Minuten von unendlich zu dichtem Nebel.

Die Alëuten-Insel Shemya, wichtiger Flughafen für die Angriffe auf die Japaner. Foto – US Air Force

Dorthin verschlug es einst meinen Freund und Reisegefährten David Slade von der US National Advisory Commission on Oceans and Atmosphere bei den Vereinten Nationen in einer heiklen Mission: Er sollte sich um die angestammten und verbrieften Rechte der Alëuten kümmern, deren Lebensgrundlage seit jeher die Jagd auf Robben war, von der Ernährung bis zur Fellverwertung. Als sich nämlich die Robbenpopulation verringerte, waren auch die Ursachen bald ausgemacht: 10 km lange Schleppnetze von japanischen Fischtrawlern dezimierten den Fischbestand, Hauptnahrung der Meeressäuger. Da die Japaner aber nicht bereit waren, ihre Netze zu verkürzen, überredete David Slade in mühsamen Vier-Augen-Gesprächen mit Abgeordneten den Kongress in Washington, im Gegenzug für kürzere Schleppnetze die Quoten für japanische Autoimporte zu erhöhen.

So hängt alles zusammen, Geschichte, Handel, Fliegerei, Diplomatie, Tier-, Umwelt- und Bevölkerungsschutz in einer der entlegensten Regionen der Welt. Schön, wenn die Diplomatie eine Chance erhält! Und schon sind wir wieder in der Gegenwart …

Von Andreas Fecker