Luftpost 189: In den Schluchten des Balkan

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Der Autor in einem Blackhawk Hubschrauber während seines Bosnien Einsatzes.
Foto: Sammlung Fecker

Viele von uns kannten diesen Teil Europas schon von Kindheit an aus Karl Mays 1892 entstandenen ‚Reiseerzählungen‘ In den Schluchten des Balkan und Durch das Land der Skipetaren. Nach dem Zweiten Weltkrieg verstand es Staatspräsident Marschall Tito, seinen Vielvölkerstaat aus den Spannungen des Kalten Krieges und dem Einfluss des Warschauer Paktes weitgehend herauszuhalten. Beim blutigen Kampf um sein Erbe zerfiel Jugoslawien nach 1991 in seine Teilrepubliken. Wir haben die Erleichterung noch vor Augen, als die Massaker in Bosnien, Mazedonien und im Kosovo durch die gemeinsamen Anstrengungen von SFOR, NATO und EU erstickt wurden. Doch nun, Mitte Januar 2017, nach fast 20 Jahren zähneknirschenden Scheinfriedens im ehemaligen Tito-Reich, bricht der Zwist zwischen Serbien und Kosovo wieder aus, frisch befeuert durch einen Zug mit serbisch-nationalistischer Beschriftung. Es häufen sich Nadelstiche und Provokationen, die schnell wieder zu bewaffneten Konflikten auf dem Balkan führen könnten. Der Brand schwelt offenbar in unserem Hinterhof weiter wie unterirdische Glutnester nach einem Waldbrand.

Als ich 1999 in Sarajevo für die Wiedereinführung ziviler Strukturen in der Luftfahrtbehörde zuständig war, verhandelte ich mit dem Luftfahrtkurator der Weltbank über einen Fonds zur Ausbildung von Bosnisch-Herzegowinischen Fluglotsen. Mein Plan war, die drei Ethnien von Bosnien, Serbien und Kroatien aus ihrer spannungsgeladenen Umgebung herauszuholen und in einem Lehrgang an der Flugsicherungsakademie der DFS oder der Bundeswehr unterzubringen. Sollte mir das gelingen, würde die Weltbank dafür 1 Million Dollar bereitstellen. Ich platzte fast vor Stolz, als ich den drei ethnischen Direktoren der Bosnisch-Herzegowinischen Luftfahrtbehörde meinen Plan vorstellte. Während der Kroate und der Bosnier begeistert applaudierten, antwortete der bosnische Serbe: „Dann hätte ich gerne 333.333 Dollar und wir schicken unsere Fluglotsen nach Belgrad.“ „Kommt nicht in Frage,“ antwortete ich, „es gehen alle zusammen oder es gibt kein Geld. Für niemanden. All or nothing.“

Dann traf mich seine Antwort mitten ins Herz: „THEN IT’S NOTHING! Dann gibt es eben nichts. Für niemanden.“ Es herrschte minutenlang Stille im Raum. Meine Vermittlung war gescheitert, mein Friedensversuch barsch zurückgewiesen. Ich bin gelernter Fluglotse. Hauptmann. Da hat man mit Geldgeschäften und Diplomatie normalerweise nichts zu tun. Ich hatte es als persönlichen Erfolg betrachtet, diesen Deal mit der Weltbank ausgehandelt zu haben. Und dann erhalte ich eine derart niederträchtige Zurückweisung, die allen ethnischen Hass taufrisch transportierte!

Bei einer anderen Gelegenheit wurde ich mitten in Sarajevo von einem alten Mann angespuckt. Als ich ihm versöhnlich die Hand entgegenstreckte, schlug er sie weg. Ein Passant sprang hinzu und redete auf ihn ein. Er erklärte mir später, der alte Mann habe mich für einen Soldaten der niederländischen Armee gehalten, die die Menschen von Srebrenica im Stich gelassen hatte. Ich hätte nichts lieber getan, als den alten Mann zu umarmen und ihn in seinem berechtigten Schmerz zu trösten. Als mir das Angebot mit der Million ausgeschlagen wurde, lag nicht Schmerz zugrunde, sondern abgrundtiefer Hass. Und dieser Hass ist es, der Menschen aufeinander schießen lässt, der Menschen zu Mördern macht, blindwütig, unzugänglich für Vernunft und Erklärungen, Diplomatie oder Verhandlungen.

Lernt denn der Mensch überhaupt nichts aus der Vergangenheit? Die Chinesen haben ein Sprichwort: „Wenn du deinen Gegner nicht besiegen kannst, umarme ihn.“ Das wäre doch mal eine sympathische Alternative, sie ist menschenfreundlich, zielorientiert und sagenhaft preisgünstig!

Von Andreas Fecker


Nachtrag vom 19.02.2017: Ein Online Portal in Tuzla, Bosnien hat diese Luftpost entdeckt und übersetzt. Al Jazeera griff diesen Artikel auf, führte ein Interview und veröffentlichte einen weiteren Artikel. Die Übersetzung ist in meinem Pressespiegel.