Luftpost 186: Eis

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Andreas Fecker

Bisher schien es ja, als würden wir in Mitteleuropa vom Winter verschont. Dafür bekamen wir durch die jüngste Kältewelle umso mehr gefrierenden Niederschlag und Blitzeis ab. Was immer noch hinterherkommt, hier schon mal ein paar Fakten, welchen Einfluss der Winter auf den Flugbetrieb haben kann. Klirrende Kälte fordert ihren Tribut. Ihr schutzlos ausgeliefert zu sein, bedeutet Erstarrung und damit das Ende von Bewegung. Die moderne menschliche Zivilisation nimmt auf die Jahreszeiten keine Rücksicht. Bewegung, genauer Fortbewegung, muss gewährleistet sein, der Verkehrsfluss darf auch im Winter nicht gefrieren. Für Fortbewegungsmittel aller Art stellt die kalte Jahreszeit eine ernstzunehmende Bedrohung dar.

Neben der natürlich immer im Vordergrund stehenden Sicherheit ist der Schutz der Umwelt ein ebenso wichtiges Kriterium. Die moderne Chemie fand eine sichere, kostengünstige und umweltfreundliche Lösung in Form von speziellen Glykol-Wasser-Gemischen, die je nach Temperatur und Wetterbedingungen eingesetzt werden können. Diese Substanzen verhindern nicht nur nach einem ausgeklügelten Konzept erfolgreich die Vereisung, sie sind außerdem vollständig biologisch abbaubar.

Aerodynamische Sauberkeit

Die größte Aufmerksamkeit wird bei der Flugzeug-Enteisung den Tragflächen geschenkt. Hier wirken nämlich die physikalischen Gesetze, die Aerodynamik. Bewegt sich ein Flugzeug vorwärts, strömt Luft über seine Tragflächen und erzeugt so wegen der gewölbten Form den notwendigen Auftrieb, den „Lift“. Eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür ist, dass die Luft ungehindert den Konturen der Flügel folgen kann. Dazu müssen die Flächen aber „aerodynamisch sauber“ sein. Und hier liegt der Hase im Pfeffer. Dieser Zustand kann sich nämlich im Winter schnell durch Eis oder Schnee negativ verändern. Dadurch vergrößert sich eine entgegengesetzt wirkende Kraft, der „Drag“.

Trockener Pulverschnee auf den Tragflächen ist nicht das Problem. Der ist mit einem Besen recht schnell weggefegt. Gefährlich ist das sogenannte Klareis. Es kann auf den Tragflächen einen Eispanzer von bis zu 20 Millimeter Dicke bilden, ist bei diesigem Sauwetter mit bloßem Auge nur schwer zu erkennen und entsteht selbst bei Bodentemperaturen von bis zu 15 Grad über Null! Dafür ist nämlich in erster Linie der vom letzten Flug in den Tragflächentanks verbliebenen Resttreibstoff verantwortlich, der sich auf bis zu minus 30 Grad abgekühlt haben kann! Bei hoher Luftfeuchtigkeit gefrieren Nebel, Schnee oder Regentröpfchen blitzschnell auf den eiskalten Tragflächen.

Klareis könnte sich zudem über die an der Außenhaut des Flugzeuges angebrachten Messeinrichtungen legen und falsche Daten an den Zentralcomputer liefern. Außerdem würde das Gesamtgewicht eines vereisten Flugzeuges dramatisch zunehmen. Die vorhandene Startstrecke würde dann unter Umständen nicht mehr ausreichen, um die nötige Abhebegeschwindigkeit zu erreichen.

Haltezeit

Eine wirkliche Herausforderung für die Enteisungs-Teams stellen anhaltender Schneefall und Witterungsverhältnisse dar, bei denen noch vor wenigen Jahrzehnten ein Flugzeugstart unmöglich war. Denn, selbst gesäuberte Tragflächen können innerhalb von Minuten wieder vereisen. Präventive Anti-Icing-Verfahren beugen dem vor. Der Vereisungsschutz besteht jedoch nur für eine gewisse „Haltezeit“, im Fachjargon „Holdovertime (HOT)“ genannt. Innerhalb dieses Fensters muss das Flugzeug den Start ausgeführt haben. Gelingt das nicht, muss von neuem enteist und wiederum ein Schutzfilm aufgetragen werden. Die Kosten für einen geparkten Airbus A380, der zuerst von Schnee und Eis befreit, und danach in einem zweiten Durchgang vor erneutem Eisansatz geschützt werden muss, belaufen sich für den Betreiber schnell mal auf 10 bis 20.000 Euro, je nach Flughafen, Temperatur und Aufwand der Enteisung. Das muss der Ticketpreis erst einmal hergeben.

Wir haben gelernt…
1.) Glykol ist vielseitig einsetzbar.
2.) Man kann damit Flugzeuge enteisen.
3.) Es kann nicht allzu gesundheitsschädlich sein. Immerhin hat man damit 1985 in einer südlichen Nachbarrepublik gewöhnlichen Wein zu Beerenauslese verwandelt!

Von Andreas Fecker