Luftpost 176: Qantas Flug 32

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Andreas Fecker Foto: Bildarchiv Fecker

Am 29. Oktober explodierte in Chicago O’Hare das CF6 Triebwerk einer startenden Boeing 767 von American Airlines. Eine zerborstene Triebwerksscheibe durschlug die Ummantelung und flog fast einen Kilometer weit bis zu einem Lagerhaus von UPS. Die rechte Tragfläche der 767 fing Feuer, sie war ja bis zur Flügelspitze voll mit Kerosin. Die Crew brach den Start ab und evakuierte die 161 Passagiere über Notrutschen, während die Feuerwehr auf der anderen Seite des Flugzeugs den Brand bekämpfte.

Da können die Triebwerkshersteller gerne darauf verweisen, dass viele Tausend ihrer Triebwerke beanstandungsfrei ihren täglichen Dienst verrichten. Es wird trotzdem schwerfallen, solche „Uncontained Engine Failures“ klein zu reden, auch wenn sie nur ein oder zweimal im Jahr passieren.

Ein besonders spektakulärer Fall jährte sich am 4. November zum sechsten Mal. Ein Tag, an dem Käpten Richard De Crespigny (sprich DeKrepni), A380 Käpten bei Qantas Airlines zum Superhelden wurde. Der Tag begann damit, dass er ein volles Cockpit hatte: Seine Flight Crew mit Second Officer Mark Johnson, First Officer Matthew Hicks, ihm selbst, Check-Käpten in Ausbildung Harry Wubben und Supervisor-Check-Käpten David Evans. Alle waren hochqualifizierte A380-Piloten mit zusammen 140 Jahren Flugerfahrung. Harry Wubben musste routinemäßig Käpten De Crespigny überprüfen, und David Evans musste beurteilen, ob Wubben das neutral und gewissenhaft erledigt. De Crespigny war trotz allem Pilot in Command, aber er wusste auch, dass jeder der beiden Herren seine Karriere beenden könnte. Was also immer auf diesem Flug passieren würde, geschah unter diesen besonderen Bedingungen. (Nichts für Menschen, die für Prüfungsstress anfällig sind!)

Kurz nach dem Start in Singapur vernahm die Crew einen lauten Doppelschlag. Käpten De Crespigny brach sofort den Steigflug ab und schaltete auf Geradeausflug. Das Triebwerk Nummer 2 war wie eine Clusterbombe explodiert. Schrapnell ähnliche Metallteile durchschlugen den Sicherheitsmantel des Triebwerks, die darüber liegende Tragfläche, durchtrennten Kabelbäume, zerfetzten die Hydraulik, durchschlugen Tanks und Steuerklappen und traten oben ins Freie. Von den 22 automatischen Systemen waren danach 21 beschädigt, nur die Sauerstoffversorgung war noch intakt. Aus den Tanks lief Kerosin.

Im Cockpit war die Hölle los. Rote und gelbe Kontrollleuchten blinkten wie Spielautomaten in Las Vegas, begleitet von Audio-Alarmen als habe man den Jackpot geknackt, Warnhörner und Info-Töne begleiteten die aufleuchtenden Fehlerhinweise auf der Zentralanzeige:

Hydraulik Systeme, Pumpen, Generatoren, elektrische Versorgung, Flugsteuerungssysteme, Vorflügelklappen, Querrudersteuerung, Bremsklappen, Fahrwerkbedienung, Bremssysteme, Enteisungssysteme, Treibstoffversorgung, Kraftstoffschnellablass, Autothrust, automatisches Landesystem, Pneumatik, Navigations- und Steuerungscomputer, Satelliten-Kommunikationssystem, alles zog einen Rattenschwanz von Ausfällen und Konsequenzen nach sich.

Käpten De Crespigny entschied, auf 7400 Fuß zu bleiben und für die nächste Stunde Schleifen zu fliegen, um festzustellen, was an diesem komplexen Flugzeug überhaupt noch funktionierte. Er bat die Flugsicherung, sie in der nächsten Stunde in Ruhe zu lassen und ihnen den Luftraum frei zu halten, während sie sich durch 125 Checklisten durcharbeiteten. Dann ging es darum, die Landung für das schwere Flugzeug vorzubereiten. Da die A380 mit derzeit 440 Tonnen noch 50 t über dem Höchstlandegewicht lag, und die Bremssysteme, wenn überhaupt, dann nur mit Einschränkungen funktionieren würden, kam der Lande-Distanzrechner auf 3900 m, gerade einmal 100 m weniger als die Gesamtlänge der Piste 20C des Changi Airports in Singapur. Der Tower wurde informiert, dass aus dem linken Flügel Flüssigkeiten austraten, wahrscheinlich Hydrauliköl und Kerosin.

Mit halb gefahrenen Klappen testete der Käpten die Reaktionen der Maschine, bevor er das Fahrwerk mit dem Notsystem ausfuhr. Immer noch verhielt sich das Flugzeug gutmütig. Mit 166 Knoten Anfluggeschwindigkeit segelte der angeschlagene Riesenvogel in Richtung Piste. Die Vorflügelklappen standen nicht zur Verfügung, Brems- und Steuerklappen nur eingeschränkt. Die Bugradsteuerung würde ebenfalls nur eingeschränkt funktionieren, für die Schubumkehr zur Bremsunterstützung hatte man nur Triebwerk Nummer 3. Triebwerke Nummer 1 und 4 lieferten den symmetrischen Vorschub, während er die Geschwindigkeit mit der Nummer 3 kontrollierte. Da die gesamte Länge der Piste gebraucht wurde, war kein Platz für einen sanften Übergang vom Sinkflug zur Landung. Alle Räder mussten so früh wie möglich auf den Asphalt, um den überschweren Flieger mit der verbleibenden Bremswirkung zum Stehen zu bringen. Währenddessen bereiteten die Flugbegleiter die Passagiere auf eine Notevakuierung vor.

Sechs Sekunden nach dem Aufsetzen des Hauptfahrwerks drückte Käpten de Crespigny das Bugrad auf die Piste und wählte die Schubumkehr für die Nummer 3. Beide Piloten traten in die Bremsen was das Zeug hielt. 150 Meter vor Pistenende kam die A380 mit glühenden Bremsen und vier geplatzten Reifen zum Stehen. Aber noch war die Gefahr nicht vorbei. Die Temperatur am Fahrwerk war auf 900° Celsius gestiegen. Triebwerk Nummer 1 ließ sich trotz Notabschaltung und Feuerlöscheinsatz nicht abstellen. Der auslaufende Sprit in der Nähe der glühenden Räder waren nach der geglückten Landung die größte Gefahr, die erst nach einer weiteren Stunde gebannt war.

Dieser Flug hatte nur vier Stunden gedauert, und doch war er der längste im langen Fliegerleben von Käpten Richard Champion de Crespigny. Verletzt wurde niemand. Gleichwohl dauerte es nach dem Unfall vier Monate, bis sich der Käpten wieder auf den Dienstplan setzen ließ. Diese Zeit nutzte er zusammen mit einem Psychologen, um den Zwischenfall zu verarbeiten. Dass er die Überprüfung mit wehenden Fahnen und Summa cum Laude bestanden hatte, dürfte wohl keine Frage sein.

Nach langem Suchen wurde die Ursache für den Zwischenfall gefunden: Die Bohrung in einem Hohlkörper, die von zwei Seiten durchgeführt wurde, war nicht 100%ig zentriert, sondern geringfügig versetzt. Dadurch war es zu erhöhtem Verschleiß im Triebwerk gekommen, ein Zahnrad war gesprungen, das all diese Schäden verursachte.

Strahltriebwerke von Andreas Fecker – Foto: Fecker

Das Flugzeug wurde in Singapur von Airbus-Mitarbeitern in 70.000 Arbeitsstunden repariert und mit vier neuen Triebwerken ausgestattet. Die Reparatur kostete 139 Millionen Dollar. Darüber hinaus zahlte der Triebwerkhersteller an Qantas eine Kompensation für erlittene finanzielle Schäden in Höhe von 100 Millionen.

Was bleibt? Wenn denn durch die Industrie derartige Triebwerksexplosionen nicht zu vermeiden sind, wünscht man sich überlegt handelnde, erfahrene Piloten am Steuer. Und die Airlines sind gut beraten, ihnen ein sicheres Zuhause zu geben, sie bei der Stange zu halten und ihnen auch das zu bezahlen, was sie wert sind.

Andreas Fecker

Mehr über diese Geschichte u.v.a. in meinem Buch Strahltriebwerke