Luftpost 175: Pizza Canadese

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Foto: Bildarchiv Fecker

Niemals würde ich versuchen, meine geschätzten Luftpostleser/-innen mit Küchenthemen zu unterhalten, hätte die Pizza Canadese nicht einen lupenreinen fliegerischen Hintergrund. Alles begann damit, dass die Royal Canadian Air Force (RCAF) in Deutschland von 1952 bis 1990 zwei Flieger-Standorte unterhielt: Lahr und Söllingen. Und wie alle in Westeuropa stationierten Luftwaffen der NATO trainierten die kanadischen Piloten ihre verschiedenen Einsatzprofile über dem Mittelmeer vom sardischen Luftwaffenstützpunkt Decimomannu aus.

Allmorgendlich stählten die taffen Kanadier Körper und Geist mit einem Frühsportprogramm am Strand von Cagliari. Sie trugen dabei ihre militärischen Trainingsanzüge, die den heutigen Jogginganzügen nicht unähnlich waren. Bei den Sarden war dergleichen lange unbekannt, weshalb die seltsame Bekleidung als „Canadese“ Eingang in den sardisch-regionalen Sprachgebrauch und in die Sportgeschäfte fand. Begann der Tag der Kanadier bei Sonnenaufgang mit schweißtreibendem Sport am goldenen Sandstrand, gefolgt von einem Bad im smaragdgrünen Wasser, so endete er des Abends in der örtlichen Pizzeria, wo sich Piloten und Techniker bei Rotwein und Oliven, Celentano und Pavarotti versammelten, um mit einer Pizza das mediterrane Feeling abzurunden. Bei Antonio ließ aber der Belag noch Wünsche offen – Sardinien ist ja nicht gerade die Heimat der Pizza. Also baten die Piloten darum, die Fladen künftig doch etwas üppiger zu belegen. Es wurde auch nicht viel herumgeredet, der nächste kanadische Versorgungsflieger aus Deutschland brachte genau die bestellten Zutaten mit, die Kanadier offenbar an Deutschland lieben: Pilze und – The Lord have mercy – Würstel. Ein kanadischer Triebwerkstechniker half Antonio auch, die erste Kreation zuzubereiten, die dann als Pizza Canadese in Antonios handgeschriebenes Rezeptbuch einging: kleinfingerdicke Bockwürstchen frisch aus dem Glas, geschnippelt und gewürfelt zwischen Schinken, Mozzarella und Tomaten auf den Teig geschüttelt und alles überbacken. Und schon hatten die Kanadier wieder ihre Spuren hinterlassen.

Einmal auf der Speisekarte verlangten die Soldaten bei ihren Wochenendausflügen die Pizza Canadese auch in anderen Pizzerien auf der Insel. Schlimmer noch, Pizzabäcker in den touristischen Hochburgen auf dem italienischen Festland, stets auf der Suche nach neuen Ideen, fühlten sich sogar genötigt, diesen barbarischen Angriff auf die italienische Küche für ihre internationale Kundschaft ins Angebot aufzunehmen. Dabei sind die italienischen, eher süßlich schmeckenden „Wurstel“ schon per se ein geschmackliches Desaster. Italienische Kulturwächter wählten die Pizza Canadese folgerichtig zur schrecklichsten Geschmacksverirrung der Cucina Italiana, in der man sonst mit Hingabe über Stunden Antipasti, Primi und Secondi Piatti zelebriert, um sich dann über den Käse zum Tiramisu vorzuarbeiten, der Grappa schafft dafür im Magen den notwendigen Raum. Ausgerechnet Sardinien, die Terra Profumata mit ihren saftigen Kräutern rühmt sich, die besten Lämmer, die schmackhaftesten Zicklein und die zartesten Ferkel hervorzubringen. „Wie kann ausgerechnet dort eine solche Beleidigung unserer Kultur ihren Ursprung haben“, wundert sich ein Kritiker über den italo-kanadischen Missgriff.

Aber wo wären wir heute, würde man den Austausch der Kulturen schon im Keim ersticken? Manchmal nehmen eben regionale Zufälle Einfluss auf ein ganzes Land. Wo wären wir, hätte Kolumbus die Kartoffel nicht nach Europa gebracht? Hätten wir ohne die Seefahrer Kaffee oder Schokolade kennengelernt? Auch Zimt, Pfeffer oder Safran hätten nie den Weg zu uns gefunden. Heute bereichern diese Zutaten unser tägliches Leben. Auf Pizza Canadese würde ich allerdings zur Not verzichten.

Von Andreas Fecker