LUFTPOST 17: Crew Koordination

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Andreas Fecker Foto: Bildarchiv Fecker

Es gibt in allen Bereichen des Lebens Situationen, die sich verschlimmern, wenn man aneinander vorbeiredet. Noch schlimmer ist es, wenn man gar nicht miteinander redet. Ganz besonders schicksalshaft kann das werden, wenn zwei Piloten nicht miteinander reden. In Militärkreisen erzählt man sich folgende haarsträubende Geschichte. In welcher Luftwaffe und mit welchem Flugzeugmuster das passierte, ist dabei unerheblich. Jedenfalls war es ein zweisitziger Kampfjet, der auch nicht mehr häufig geflogen wird, die Cockpits waren hintereinander angeordnet. Irgendwann während des Fluges begann sich plötzlich das Gurtzeug des vorn sitzenden Piloten im Lendenbereich zu spannen, so zumindest schien es. Nein, nicht was der Leser jetzt denken könnte. Tatsächlich war es das Rettungsboot, das im Sitzpolster des Piloten untergebracht und im Falle eines Ausschusses mit dem Piloten verbunden ist. Die Polsternaht platzte und von der Stickstoffkartusche getrieben bildete sich eine Gummiblase zwischen den Beinen des Piloten. Verständnislos und amüsiert, aber ohne ein Wort darüber zu verlieren, versuchte der Pilot, den orangefarbenen Gummi wieder zurückzuschieben, gleichwohl war der Druck aus der Kartusche größer. Mittlerweile wurde das Ding hinderlich, denn die Gummiblase schob sich zwischen den Sitz und die Steuersäule. Im Klartext hieß das, das Schlauchboot drückte den Steuerknüppel nach vorn, so dass die Maschine an Höhe verlor.
Der Pilot zog den Knüppel nach hinten, was aber einer wachsenden Kraftanstrengung bedurfte. Mittlerweile wunderte sich der Waffensystemoffizier im hinteren Cockpit, was die Maschine wohl für Schwierigkeiten haben mochte, dass sie die Höhe nicht hielt. Gesprochen wurde aber noch immer kein Wort.

Vorn wusste sich der Pilot nur noch zu helfen, indem er das Fallschirmleinen-Kappmesser hervorzog und in das Boot hinein stach. Mit einem lauten Knall platzte der Gummi, der Druck entwich, der Steuerknüppel schnellte zurück, die Maschine machte wieder einen Satz nach oben. Gleichzeitig hatte sich der Druckbehälter explosionsartig ins Cockpit entleert. Zusammen mit dem Talkumpuder im Inneren des Schlauchbootes wurde das Cockpit sekundenlang mit ‚weißem Rauch’ verhüllt.
Der Navigator war fassungslos: ‚Die Sau hat sich herausgeschossen, ohne mir etwas zu sagen!‘ Oder hatte er ein zusätzliches Problem mit dem Interkom gehabt? Was soll ich dann noch hier, fragte er sich, und zum Nachfragen war es ja nun zu spät. Folgerichtig zog er den Griff am Schleudersitz und katapultierte sich aus dem Cockpit. Der vorn sitzende Pilot hörte die Explosion hinter sich, deutete sie aber als eine schwere Beschädigung der Zelle. Schließlich verhielt sich die Maschine plötzlich so ganz anders, was natürlich wegen der offenen Kabine hinter ihm kein Wunder war. Jetzt erst fiel ihm ein, seinen Navigator zu fragen, was da hinten los sei. Logischerweise erhielt er keine Antwort mehr. Er verrenkte seinen Kopf soweit es ging nach hinten und erkannte, dass das hintere Cockpit leer war. ‚Die Sau hat sich herausgeschossen, ohne mir etwas zu sagen!‘ wunderte sich der Pilot. Und so zog er ebenfalls den Griff und stieg aus. Die vollkommen intakte Maschine flog führerlos noch eine Weile weiter, bis ihr der Sprit ausging und sie dann irgendwo abstürzte. Glücklicherweise richtete sie nur Flurschaden an.

Es ist fast nicht zu glauben: Während der sich entwickelnden Situation wurde nicht ein einziges Wort gesprochen!

Ein anderer Fall von Kommunikationsstörung passierte vor einigen Jahren in den USA an Bord einer Zubringer-Maschine einer regionalen Airline. Die beiden recht jugendlich aussehenden Piloten schienen zusammen keine 40 Jahre alt zu sein. Das Cockpit war nur durch einen Vorhang von der Passagierkabine getrennt. Kurz vor der Landung wurden die entgeisterten Passagiere Zeuge eines immer heftiger werdenden Streits zwischen den beiden Piloten. Offenbar ging es um eine unterschiedliche Interpretation des Anflugverfahrens auf den Zielflughafen. Schließlich gipfelte der Streit darin, dass der links sitzende Käpten dem Kopiloten mehrfach mit dem Zeigefinger auf die Brust stach und ihm laut und für alle vernehmlich sagte, er solle jetzt den Mund halten, die Füße von den Pedalen und die Hände vom Steuer nehmen und nichts mehr anfassen. Der Kopilot verschränkte daraufhin trotzig die Arme und schaute schweigend und grimmig aus dem Seitenfenster. Ob er es kommen sah oder nicht, ist nicht überliefert, jedenfalls landete der Käpten das Flugzeug alleine. Auf dem Bauch. Er hatte vergessen, das Fahrwerk auszufahren!

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, sagt man. Manchmal ist es aber auch umgekehrt!

von Andreas Fecker