Luftpost 164: Delta Down

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Andreas Fecker – Foto: Bildarchiv Fecker

Es ist eine Katastrophe der besonders ärgerlichen Sorte, wenn das Computer System einer Airline zusammenbricht. British Airways, United Continental, American und Lufthansa waren schon davon betroffen. Erst vor einem Monat brach in Dallas ein einziger Router bei Southwest Airlines zusammen. In Folge der einsetzenden Kettenreaktion wurden 2300 Flüge storniert, das gesamte Netzwerk von Southwest stand still. Manchmal sind es Computer Updates, die für den Systemabsturz verantwortlich sind, manchmal ist es ein Virus und manchmal sind es Hacker. Auch eine Beutelratte hat schon mal ein Computerkabel durchgekaut und eine ganze Airline zum Stillstand gebracht. Vergangene Woche traf es Delta Air Lines mit ihren 80.000 Angestellten. Es begann mit einem Stromausfall in Atlanta um 2 Uhr 30 morgens, verursacht von einem Schaltgerät bei der Airline selbst. Die gesamte Flotte von 835 Flugzeugen stand weltweit am Boden. Delta bietet 6000 Flüge pro Tag an, die in irgendeiner Weise ineinandergreifen. Gut tausend davon wurden am ersten Tag storniert, ein Rückstau von weiteren tausend Stornierungen über die folgenden Tage, sowie viele tausend Verspätungen mussten im Laufe der Woche abgearbeitet werden, viele davon mit Übernachtungen.

Das ist die bittere Kehrseite der eleganten, scheinbar kundenfreundlichen und personalsparenden Automatisierung, die uns so oft staunen lässt. Die Einsatzsteuerung für die verschiedenen Drehkreuze in Amsterdam, Paris, Tokyo und zehn weiteren Städten in den USA, Flüge zu 335 Destinationen weltweit, der Flugzeugkreislauf, Umsteigeverbindungen zu den 20 Mitgliedsairlines der Sky Team Allianz, alle Buchungen zu deren 1062 Destinationen in 177 Ländern, Gepäckmanagement, Code-Sharing, Bonusmeilen, Kundendaten, Catering, Ersatzteilzuführung, Laufzeitüberwachung, Abflug- und Ankunftszeiten, Fluginformationsmonitore, zeitgerechte Wartung. Alles das und noch mehr wird von diesem zentralen Nervensystem verarbeitet und/oder gesteuert. Check-in Terminals funktionierten nicht, Schalterpersonal stand nicht in genügendem Umfang zur Verfügung.

Nur mit Hilfe der EDV ist es überhaupt möglich, ein derart weltweit komplexes Transportsystem kosteneffektiv am Laufen zu halten. Nun wurden Bordkarten wieder von Hand ausgeschrieben, in Tokyo holte man gar einen alten Nadeldrucker aus dem Keller, um wenigstens Passagierlisten ausdrucken zu können. Wenn aber Flugzeuge nicht starten können, belegen sie Flughafen-Gates. Andere Flugzeuge können dann nicht andocken, wartende Crews können nicht mehr starten, weil sie während des folgenden Fluges über ihre gesetzliche Höchstarbeitszeit kämen. Bisweilen muss dann auch schon mal ein Hub-Airport aus Kapazitätsgründen geschlossen werden.

Aus Angst vor einem solchen Zusammenbruch im Rahmen eines Updates laufen bei vielen Airlines noch alte Betriebssysteme, die heute in kaum einem Haushalt noch zu finden wären. Wenn 100.000 Rechner miteinander verbunden sind, handelt man schnell nach dem Motto: ‚If it ain’t broke, don’t fix it!‘ Das letzte große Computer-Upgrade bei Delta fand in den 1990er Jahren statt. Das war kurz bevor sich die Airline in den Gläubigerschutz rettete und sich später mit Northwest Airlines vereinigte. Im aktuellen Fall war der Systemfehler zwar nach 12 Stunden halbwegs behoben, und die ersten Flugzeuge konnten wieder starten. Trotzdem ist der Schaden gewaltig. Es dauert stets Tage und Wochen, bis alle Flugzeuge wieder im normalen Umlauf sind und der Betrieb verzögerungsfrei läuft.

Früher einmal hatte jeder gebuchte Passagier ein Papierticket. Damit konnte man bei einem Flugausfall an einen Schalter der Airline gehen, die in genügendem Umfang zur Verfügung standen, erhielt ein „Endorsement“ für eine andere Airline und flog dann statt United eben mit American. Mit dem elektronischen Buchungssystem und der Bordkarte auf dem Smartphone ist eine solche einfache Lösung nicht mehr möglich, wenn das hauseigene Betriebssystem eine sogenannte Kernschmelze hatte. Von dem Chaos und den Kosten in der Hauptferienzeit abgesehen, mussten zehntausende von Passagieren an Delta Flughäfen rund um den gesamten Globus untergebracht, umgebucht und entschädigt werden. Ob sich alle Betroffenen mit dem angebotenen 200 Dollar-Reisegutschein abspeisen lassen, wird man sehen.

Wir alle kennen die typische Reaktion der Kunden auf vermeintliche oder tatsächliche Fehlleistungen einer Firma in den Zeiten von Facebook, Twitter und wie sie auch immer heißen mögen. Delta als zweitgrößte Airline der Welt erhält etwa 3600 Negativkommentare pro Tag von Besserwissern. In den ersten Stunden des Zusammenbruchs waren es 43.000!  Die Call Center weltweit stehen in solchen Fällen stets kurz vor dem Kollaps und können trotzdem kaum helfen. Die Anrufer sind dann zwanzig Minuten und länger in einer Warteschleife und hören mehr oder weniger geduldig gutlaunige Musik zur Beruhigung der Nerven. Titelvorschlag von mir: „Delta Dawn“ von Tanya Tucker.

Von Andreas Fecker

Eine Antwort zu “Luftpost 164: Delta Down”

  1. Christiane Milanowski sagt:

    Toll, dass einem das mal so gut erklärt wird!
    VG