LUFTPOST 15: Fluglärm

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Andreas Fecker Foto: Bildarchiv Andreas Fecker

In der Fluglärmdiskussion ist die Empörung der Fluglärmgegner immer dann am größten, wenn man ganz einfache Fragen stellt und ihnen die Argumente ausgehen.

So fragte ich einst in einem Fluglärmforum:
Warum regt sich Müller auf, sein Nachbar Maier aber nicht? Warum empfindet Schmidt den Flughafen als Segen, sein Nachbar Schulz denselben als Fluch? Warum hat Anita aus Neu Isenburg einen Abiturschnitt von 3,5, ihre Nachbarin Arnika einen Schnitt von 1,1? Warum macht die Familie Greiner einen Sonntagsausflug auf die Besucherterrasse des Flughafens, die Nachbarn Göbel gehen lieber am Montag auf die Demo? Warum wird Frau Schmalenbach (50) krank und erwartet den unvermeidlichen Schlaganfall, ihre Nachbarin Breitenbach (51) erfreut sich bester Gesundheit und besucht ihre Großmutter (100) in Raunheim? Kann es denn sein, dass hinter der Diskussion um Fluglärm viel mehr steckt als Statistik, Dezibel und Flugspuren?

Diese einfachen Fragen zogen einen aufgeregten Diskussionsfaden mit 69 Einträgen im Forum nach sich. Kaum jemand versuchte sich an einer Antwort. Dabei wurden mir diese Fragen so ähnlich von einem Schlafmediziner und Akustiker gestellt. Ich hatte mich mit ihm im Rahmen einer Buch-Recherche über die psychosomatischen Hintergründe unterhalten. Diese Fragen muss jeder für sich selbst beantworten. Nur so kann man die möglicherweise präsente Phonophobie überwinden, die sich nämlich verstärkt und im Laufe der Zeit bei immer geringeren Schwellenwerten ausgelöst wird. Man muss sich entscheiden was man will: Will ich die Vielfalt der Stadt oder eher die Gemütlichkeit einer dörflichen Gemeinschaft? Die Stadt steht für Verkehr, das Land für Besinnlichkeit. Dörfer sind vom Rhythmus des Tages geprägt, Städte vom Rhythmus der Nacht.

Und dann ist da noch die Frage des persönlichen Schwerpunktes. Diskutieren wir nicht über ein Luxusproblem? In New Orleans wurden kürzlich 19 Menschen angeschossen, die Muttertag feierten. Warum? Weil ein paar junge Menschen keinen Respekt mehr vor dem Leben haben und weil die amerikanische Waffenindustrie immer mehr Schießprügel verkaufen will. In Indien wird ein Femizid fortgesetzt, dass es in manchen Dörfern schon 85% Männerüberschuss gibt. Warum? 500 Rupien für eine Abtreibung sind billiger als 500.000 Rupien für die Mitgift bei einer späteren Hochzeit. Monsanto drückt unter dem Vorwand „Feed the Hungry“ überall auf der Welt seine Gen-manipulierten Nahrungsmittel durch. Warum? Sie wollen den Weltmarkt beherrschen und uns patentiertes Essen verkaufen. Im Pazifik treibt ein Plastikmüllhaufen, der so groß ist wie Europa. All diese Probleme scheinen zwar weit weg zu sein, aber sie werden uns einholen. Stattdessen regen sich hier in Frankfurt Leute auf, dass sie bei bestimmten Wetterlagen 55 bis 75 dB ertragen müssen, weniger, als an so ziemlich jedem Flughafen der Welt.

Die Fluglärmgegner zitieren immer wieder London Heathrow als Beispiel für seine angeblich leiseren Anflugrouten. Nun, die der Piste nächstgelegene Wohnhausbebauung in Heathrow, Orly, Charles de Gaulle oder Amsterdam werden allesamt in Höhen zwischen 40 und 140 m überflogen. Flörsheim hat doch immerhin vertikale 300 m Abstand zum Endanflug, Offenbach gar 900 m und Lerchesberg einen ganzen Kilometer. Nur mit diesen vergleichsweisen komfortablen Abständen lässt sich auch erklären, dass Offenbach die Baubeschränkungen gelockert haben möchte, um näher an den Flughafen bauen zu können.

Und merke: Der Umstand, dass man ein Flugzeug hört, bedeutet noch lange nicht, dass man es auch als Lärm empfinden muss. Diese Empfindung wird immer durch die persönliche Einstellung zur Geräuschquelle beeinflusst. Genau so lässt sich nämlich erklären, warum sich manche Menschen gestört fühlen und andere nicht. Und dann könnten wir uns nämlich wieder anderen, wahrscheinlich wichtigeren Schwerpunkten des menschlichen Zusammenlebens zuwenden.

Andreas Fecker