Luftpost 143: Die alten Gallier

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Ein Herz und eine Seele: Wie ein Vater seinen Kindern die Fliegerei erklärt. – Foto: Fecker (Familienarchiv)

Heute folge ich der Anregung eines Lesers, die mir schon vor längerer Zeit zuging: „Wie erkläre ich meinem kleinen Sohn, wie ein Flugzeug funktioniert, ohne allzu tief in die Physik einzusteigen?“  Am besten mit einem kind- bzw jugendgerechten Dialog. Vielleicht so:

«Gallia est omnis divisa in partes tres»
„Daddy!!! Was soll das?“ rief Thomas seinen Vater. Dabei warf er den Gallischen Krieg, aus dem er für seine Latein-Hausaufgaben die erste Seite übersetzen sollte auf den Tisch.
Thomas’ Vater blickte vom Computer auf und zuckte die Schultern.
„Mein Vater hat’s gelernt, meine Geschwister haben’s gelernt, ich hab’s gelernt, warum sollst Du es nicht lernen? Latein schult das logische Denken, es legt die Grundlage für spätere Fremdsprachen.“
„Oh Mann! Geht das nicht mit zeitgemäßen Texten? Sollen sie doch meinetwegen auf lateinisch erklären warum ein Flugzeug fliegt. Dann hat man noch was davon.“
„Da fehlen aber eine ganze Menge Vokabeln dazu! Die gab es damals noch nicht. Es ist schon schwer genug das in der Muttersprache zu erklären!“

„Dann sag doch mal, warum fliegt überhaupt ein Flugzeug?“
„Hab ich dir doch schon im Kindergarten erklärt!“
„Hast Du. Ich erinnere mich. ‚Weil es Flügel hat’, hast Du damals erzählt. Und als ich weiter gebohrt habe, WARUM es denn Flügel hat, hast Du gesagt ‚weil sie jemand drangemacht hat’. Wenn ich heutzutage mit einer so schwachsinnigen Antwort in der Schule auftrete, kriege ich zwei Stunden Arrest und eine Sechs in Betragen.“
“Wird das jetzt ein Quiz, oder was?“ fragte der Vater etwas genervt.
„Nein, lieber Daddy, Du schuldest mir seit fast zehn Jahren eine Antwort. Damals hast Du mir ein Eis gekauft, um mich von weiteren Fragen abzulenken. Heute kommst Du mir so nicht mehr davon. Vorher fasse ich den Gallischen Krieg nicht mehr an. Und wenn ich morgen keine Hausaufgaben habe, dann…“
„…dann sagst Du dem Lehrer dein Vater ist schuld. Das war mir klar.“
Er wusste, dass er diesmal nicht mit einem Eis davonkommen würde.

„Also, Thomas, wo soll ich anfangen? Bei Dädalus und Ikarus? Oder bei Leonardo da Vinci?“
“Leonardo da Vinci? Ist das der, der die Mona Lisa gemalt hat?”
„Genau der.“
„Was hat der mit der Fliegerei zu tun?“
„Er hat sich intensiv mit dem Traum der Menschen beschäftigt, fliegen zu können. Wahrscheinlich ausgelöst vom alten Ovid…“
„Ovid?“
„Römischer Dichter, lebte vor 2000 Jahren.“
„Weiß ich, aber was hat der schon wieder mit dem Fliegen zu tun?“
„Der hat die Sage von Ikarus und Dädalus aufgeschrieben. Sag mal, was macht Ihr eigentlich in der Schule? Kiffen?“
„Von wegen. Erzähl!“

„Dädalus war ein griechischer Baumeister. Der wurde vom König Minos auf Kreta engagiert, um ein Labyrinth zu bauen. Danach ließ ihn der König aber nicht mehr nach Hause. Er wurde mit seinem Sohn auf der Insel gefangen gehalten…“
„Hey, kommt der Minotaurus daher? Der Stier des Minos?“
„Siehst Du? Die klassischen Sprachen wirken!“
„Wie ging es nun mit den beiden weiter?“
„Dädalus ersann einen Weg, für seinen Sohn und sich selbst Schwingen aus Adlerfedern zu konstruieren, die er mit Wachs befestigte. Erste Versuche glückten. Er schärfte seinem Sohn ein, nicht zu dicht am Meer zu fliegen, damit die Feuchtigkeit nicht die Federn zu schwer machte, und nicht zu hoch, damit die Sonne nicht das Wachs schmelzen würde.
Aber wie das halt so mit Kindern ist, wenn alles gut läuft. Auf halbem Weg wurde der Sohn übermütig und schwang sich höher hinauf zum Himmel. Das Wachs schmolz, die Federn lösten sich, und Ikarus stürzte ins Meer.“
„Und Dädalus?“
„Der flog weiter nach Frankfurt und machte dort ein griechisches Restaurant auf. Mann, ich weiß das nicht, darauf kommt es doch gar nicht an! Ovid will uns damit nur sagen, dass der Mensch nicht versuchen soll, Naturgesetze zu umgehen. Der Mensch ist nicht zum Fliegen da.“
„Ahhh, und das hat Leonardo da Vinci 1500 Jahre später gereizt, es den Menschen zu beweisen, dass Fliegen möglich ist!“
„Richtig. Er studierte die Anatomie der Vögel und entwarf eine Maschine, die es ihnen gleichtat, aber durch Muskelkraft bewegt.“
„Und? Funktionierte sie?“
„Siehst Du draußen jemanden herumfliegen? Natürlich nicht. Der Mensch hat nicht genug Kraft in den Armen und Beinen, um sein Eigengewicht und das der Maschine vom Boden zu erheben. Was glaubst Du warum die Vögel Hohlknochen haben?“
„Um Gewicht zu sparen?“
„Genau.“
„Wann gelang denn dann der Durchbruch?“

Der Vater dachte kurz nach. „Vielleicht denken andere anders darüber. Ich finde der junge Daniel Bernoulli hat das wichtigste Gesetz dafür entdeckt.“
„Bernoulli? Jung?“
„Ein Schweizer Mathematik- und Physikgenie um 1700. Der durfte schon mit 13 Jahren an die Uni zum Studieren. Mit 15 hat er sein Bachelor gemacht, mit 16 seinen Master. Nebenbei hat er Medizin studiert und mit 20 sogar noch promoviert. Mit 25 war er Professor. Universitäten von Paris bis St. Petersburg rissen sich um ihn und boten ihm den Lehrstuhl für Physik an.“
„PISA war damals noch kein Thema, was?“
„Nein. Und Null-Bock, Punk und Discos auch nicht. Jedenfalls hat der Bernoulli entdeckt, dass strömende Luft einen Unterdruck erzeugt. Habt Ihr das in Physik schon durchgenommen?“
„I wo! Physik fällt doch dauernd aus, weil unser Lehrer schwächelt.“
„Nimm mal ein Blatt Papier und halte es mit beiden Händen an der schmalen Seite fest. Die andere Seite hängt jetzt in einem Bogen nach unten, von deinem Körper weg. Nun blas über die Wölbung des Papiers. Du siehst, wie sich der hängende Teil des Papiers nach oben bewegt. Je stärker du bläst, umso größer der Auftrieb. Nichts Anderes passiert, wenn Luft über die gewölbten Tragflächen eines Flugzeugs streicht. Der Motor sorgt für die Horizontalgeschwindigkeit. Und das ist schon das ganze Geheimnis.“
„Genial.“
„Und jetzt will ich von Dir hören, ob ich Dir das im Kindergartenalter hätte erklären können!“
„Im Leben nie!“
„Dann war das Eis damals eine gute Investition. Und jetzt übersetze deinen Cäsar!“

Von Andreas Fecker