Luftpost 133: Rot-Gelb-Grün

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Foto: Bildarchiv Fecker

Verkehrsampel? Ampelkoalition? Food-Ampel? Von wegen, es geht um Leben und Tod! Passagierflugzeuge werden immer größer und befördern immer mehr Menschen. Gleichzeitig werden sie auch immer sicherer. Trotzdem müssen auch die Flughäfen aufrüsten, denn bei aller Sicherheit kann es eben doch einmal vorkommen, dass etwas schiefgeht. Sollte also einmal ein solches Dickschiff mit über 500 Passagieren in einen Unfall verwickelt werden, müssen die Flughäfen darauf vorbereitet sein. Und das sind sie, sonst erhalten Großraumflugzeuge keine Genehmigung dort anzufliegen.

Gehen wir von einem fiktiven Unfallszenario aus, in dem mehrere hundert Menschen leicht bis schwer verletzt sind, einige sogar sterben. Als Beobachter im Terminal sieht man nur ein Meer von Blaulichtern. Alle Krankenhäuser in der Region sind in die Rettungskette eingebunden. Rettungskonvois von den umliegenden Städten und Ortschaften, Landes- und Bundespolizei begeben sich unverzüglich zum Einsatzort. Rettungshubschrauber treffen ein. Wären die Beobachter näher am Unfallort, würden sie erleben, wie alle diszipliniert und übersichtlich aufgestellt am Rande des Unglücksbereiches warten, auch wenn das widersinnig erscheint. Sie sind nämlich dem On-Scene-Commander unterstellt. Und dieser hat das Chaos unter Kontrolle. Die Warteposition gilt natürlich nicht für die Löschfahrzeuge, die in minutenschnelle an einem havarierten Flugzeug sein müssen.

Derweil werden Zelte aufgestellt, groß genug für ein medizinisches Team und seine Ausstattung. Eine Triage wird eingerichtet. So hart das klingen mag, aber bei einem Massenunfall verfahren die Notärzte nach der Dreißiger-Regel: Für jeden am Unfall beteiligten Menschen können erst einmal nicht mehr als 30 Sekunden Zeit aufgebracht werden, um ihn in eine von drei Kategorien einzuteilen: Rot, Gelb oder Grün. 30 Sekunden später kümmern sie sich schon um den nächsten. Das Wort Triage stammt von dem französischem Verb trier und bedeutet „sortieren“. Die Verletzten werden also nach Schwere und Dringlichkeit sortiert: Rot bedeutet, dass der Patient derart schwer verletzt ist, dass er dringend medizinische Hilfe benötigt, um den Unfall zu überleben. Gelb steht für Patienten, die ebenfalls medizinische Hilfe benötigen, aber nicht in akuter Lebensgefahr schweben und auch ohne sofortige Hilfe den Unfall überleben werden. Unter Grün fallen alle Patienten, die nur leichte Verletzungen davongetragen haben und sich selber fortbewegen können und zunächst auch keine medizinische Hilfe benötigen. Bewährt haben sich Tafeln, Bänder oder Aufkleber, die den Opfern angehaftet werden können. Während nun ständig weitere Ärzte eintreffen, können sie sich der Verletzten gemäß der voreingeteilten Prioritäten und ihrer Spezialisierung annehmen und sie entsprechend versorgen. Bei der Flugshowkatastrophe von Ramstein wurde nicht einmal ansatzweise eine systematische Rettung durchgeführt, so unvorbereitet waren damals die Rettungskräfte.

Das flughafeneigene Emergency Response and Information Center (ERIC) ist als Kommandozentrale mit allem ausgerüstet, was man zur Bewältigung einer Krise benötigt. Man ist auf Entführungen vorbereitet, auf Demonstrationen, auf Bombendrohungen, auf Naturkatastrophen, auf Unfälle auf dem Flughafen aber auch anderswo (on-airport oder off-airport). Konferenztische, Informationszellen, Datenbanken, Besprechungsräume für Arbeitsgruppen, Videoanlagen, aber auch Pausen- und Ruheräume helfen, dass Krisenstäbe auch über längere Zeit leistungsfähig bleiben und sachdienliche Entscheidungen treffen können. Hier werden vom Hackerangriff über Entführungen bis zum Unfall regelmäßig Szenarien durchgespielt.

Zu diesem ERIC gehört auch ein Notfallinformationszentrum (NIZ). Während nämlich die Verletzten in die geeigneten Krankenhäuser gebracht werden, verbreitet sich die Nachricht von einem Unfall über die Nachrichtenagenturen in alle Welt. Und von dort kommen dann Anrufe von verzweifelten Familienangehörigen, die wissen möchten, ob ihre Partner, Kinder, Eltern, sonstige Verwandte oder Freunde unter den Überlebenden sind. Das NIZ in Frankfurt hat 27 Bildschirmarbeitsplätze und ist mit der modernsten Telefon- und Kommunikationsanlage ausgestattet, die es gibt. Jeder Mitarbeiter nimmt Personalien, Adresse, Telefonnummern und Aufenthaltsort des Anrufers auf und trägt sie in eine Datenbank ein. Sowie dann Passagierlisten, Opferlisten, Verletztenlisten, Krankenhauslisten erhältlich sind, werden diese ebenfalls in die Datenbank eingegeben. Man kann sich vorstellen, dass durch verschiedene Schreibweisen ausländischer Namen, Namensgleichheiten oder -ähnlichkeiten, bisweilen mit Buchstaben, die es in unserem Alphabet gar nicht gibt, sehr schnell Verwirrung entstehen kann. Dazu kommen die unterschiedlichen Quellen, verlorenes Gepäck, gefundene Pässe, zu denen der Eigentümer gesucht wird, Spracheigentümlichkeiten bei telefonischer Verständigung zum Beispiel mit Indien. Deshalb gilt die Faustregel, keine Auskunft am Telefon über Todesopfer.

Ich wünsche uns allen ein unfallfreies Jahr 2016, damit wir diese Einrichtungen niemals brauchen.

Von Andreas Fecker