Luftpost 127: Luftfracht 2

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Andreas Fecker – Foto: Archiv Fecker

In China hat man 2009 den Singles‘ Day oder Bachelortag erfunden. Hierzulande ist er glücklicherweise (noch) unbekannt. Er sollte so etwas wie eine Persiflage zum überkommerzialisierten Valentinstag sein, an dem sich romantische Paare Geschenke kaufen sollen. Für diesen Singles’ Tag wählte man den 11.11. eines Jahres; die vier Einser sollten alleinstehende Menschen symbolisieren. Niemand hätte vor wenigen Jahren geglaubt, dass das Konzept durch die Decke geht. Der chinesische Onlinehändler Alibaba verdoppelte Jahr für Jahr seine Umsätze an diesem Tag. 2015 hielt er 6 Millionen Artikel vor, bei einem Zusammenschluss von 40.000 Firmen in 49 Ländern. Er hatte zuvor auch noch 5000 Warenlager angemietet. 1,7 Millionen Zusteller und 400.000 Fahrzeuge und 200 Flugzeuge standen alleine in China bereit, diese logistische Herausforderung zu bewältigen. In 190 chinesischen Großstädten wurden rechtzeitig 300.000 Abholstationen eröffnet. Zusätzlich schloss Alibaba Verträge mit 180.000 Läden, wo die Bestellungen für Selbstabholer angeliefert werden konnten. Im Jahr davor genügten noch 50.000.

Und dann kam der 11.11.2015. 24 Stunden lang galten Sonderangebote. 24 Stunden lang glühte das Internet. Um Mitternacht hatte Alibaba 467 Millionen Bestellungen im Wert von 14,32 Milliarden Dollar eingefahren, 60% mehr als am 11. November 2014. Die mussten nun zum Empfänger gebracht werden. Ein globaler Logistiker spricht sogar von Milliarden einzelner Sendungen!

Verrückte Chinesen? 2010 hat man in den USA mit dem Cyber Monday gekontert. Er ist der Beginn der letzten Woche im November. Internet Händler geben ab diesem Montag eine Woche lang Rabatte auf verschiedene Waren. Amazon schickt mir gerade jeden Tag Werbung für Dinge, die ich nicht brauche. Die Cyber-Monday-Woche endet angeblich mit dem Black Friday, der aber gerne über das darauffolgende Wochenende ausgedehnt wird. Die Lockangebote überschlagen sich und gehen dann langsam in den Vorweihnachtsverkauf über. Es werden auch hierzulande auf diese Weise Milliarden umgesetzt, allerdings nicht einmal ansatzweise so viel wie in China.

Wenn dann die Waren-Bestellungen eingefahren sind, beginnt die Arbeit der Logistiker, der Frachtzentren und der Cargo Airlines, die dann über Wochen ausgelastet sind, und Tag und Nacht über die großen Frachtflughäfen Waren von A nach B und von Y nach Z fliegen. Die Frachtflugzeuge von DHL, TNT, FedEx, CargoLux, UPS bringen die Waren zu ihren Hubs auf allen Kontinenten dieser Welt. Von dort werden sie entweder als Beiladefracht im Rumpf der Passagierflugzeuge oder auf dem Landweg in die Zustellerkanäle gebracht.

Gerne verdrängen wir die Frage nach dem ethischen Wert dieser künstlich erzeugten Power-Shoppingtage. Heute bestellt, morgen im Haus. Online macht’s möglich. Es gibt im Jahreskalender des Handels immer mehr Anlässe, wo wir subtil und je nach Neigung und gefühlter Verantwortung zum Konsum verführt oder gar genötigt werden: Geburtstage, Namenstage, Vatertag, Muttertag, Frauentag, Valentinstag, Barbaratag, Hochzeitstag, Ostern, Schulbeginn, Black Friday, Halloween oder Weihnachten. Unabhängig davon warten wir schon auf den Sommer- und den Winterschlussverkauf. Und weil das nicht genug sein kann, hat die Junk-Industrie schon vor langer Zeit in den USA sogar Christmas-in-July erfunden. Immer mehr dieser Geschenkwaren werden billig in China produziert, das allein ist fast schon eine Giftmüllgarantie.

Wie bei den Billigfliegern werden hier aber auf Kosten von Umwelt und Rohstoffen Bedürfnisse erweckt, die sonst gar nicht entstanden wären. Das ist sicher gut für die Frachtairlines, und ich will deren wirtschaftlichen Nutzen ja gar nicht in Frage stellen. Aber es ist alles andere als nachhaltig. Viele Waren sind sowieso von minderer Qualität und vollkommen überflüssig, weshalb sie früher oder später auf den Abfallbergen unseres Wohlstandes landen. Die Zeche zahlt unter anderem der Einzelhandel, der auf seinen vorgehaltenen Artikeln sitzen bleibt. Mit jedem geschlossenen Laden verlieren die Städte an Attraktivität, das soziale Leben in den Stadtkernen verarmt, Tante Emma wird gegen den Supermarkt auf der grünen Wiese und den Online-Handel ausgetauscht. Dabei kann e-Commerce trotz all seiner Milliardenumsätze den Dorfladen an der Ecke nicht ersetzen, wo man auch mal am Sonntagmorgen anklopfen und fragen konnte: „Marie, hast Du noch einen Liter Milch?“

Von Andreas Fecker

Eine Antwort zu “Luftpost 127: Luftfracht 2”

  1. Markus sagt:

    Liebe Luftpost, lieber Andy,

    ich danke Dir mal wieder für diesen Klasse Artikel, ist das doch das Erste was ich noch vor der Tageszeitung am Samstag lese. Umso mehr war ich nachdem ich den Artikel gelesen habe nachdenklich, als ich in meinem Outlook die Amazon Versandbestätigung für die ersten frühzeitig gekauften Weihnachtsgeschenke von Amazon gesehen habe. Auf meiner letzten Reise habe ich bemerkt, dass in manchen Ländern der Black Friday gar schon seit 2 Wochen läuft in denen die Nachlässe auch lediglich künstlich erzeugt werden. Ich habe Angst vor dem Tag an dem die „Amazone“ den Hochzeitstag und die Kindergeburtstage kennt und selbstständig nach meinen Gewohnheiten den Liebsten Pakete schickt…. In der heutigen „beschleunigten“ Welt mit Leistungsdruck wäre es gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit eine gute Gelgenheit einmal etwas zu „entschleunigen“ und auch mal auf dem Weg in die Arbeit links und rechts aufmerksam zu schauen, ob der Tante-Emma Laden noch da ist oder diesen überhaupt erstmals zu sehen. Vielleicht erkennt man ihn auch an dem gelben Paketauto davor, denn der Paketbote trinkt dort sicher gerne einen Kaffee oder kauft dort seinen Semmel.
    Schönes Wochenende!
    Markus