Luftpost 123: NORAH

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Andreas Fecker – Foto: Bildarchiv Fecker

Eine Schockwelle geht gerade durch Deutschland: Fluglärm ist womöglich gar nicht so schlimm wie allseits befürchtet. Zu diesem Ergebnis kam gerade die mehrjährige Lärmwirkungsstudie NORAH, was für „NOise Related Annoyance, cognition, and Health“ steht. Das ist natürlich gut für das Gewissen von Airlines, Verkehrsministern und Landespolitikern. Also, alles zurück auf Normal und Business as usual? Oder haben wir es hier womöglich mit einem Gefälligkeitsergebnis zu tun?

Zur Wirkung von Lärm gibt es bereits verschiedene Studien, Gutachten und Zusammenfassungen von Material. Eine Studie beruht auf Beobachtungen, Versuchsreihen, wissenschaftlicher Auswertung von Messungen auch an unbelasteten Kontrollgruppen. Statistische Daten werden dazu aufbereitet, das Ergebnis sollte möglichst alle Aspekte des Themenkomplexes umfassen. Ein Gutachten ist lediglich die Stellungnahme eines Sachverständigen, bei dem überdurchschnittliches Fachwissen zu einem Thema vorausgesetzt wird. „Gutachter“ kann sich in Deutschland streng genommen jeder nennen, der Begriff ist nicht gesetzlich geschützt. Während eine Studie Quellen und Methoden nennen muss, kann ein Gutachter auf eigene Erkenntnisse, Erfahrungen und Überzeugungen zurückgreifen, die er für richtig hält und die er nicht näher erläutern muss. Flughafenskeptiker in Frankfurt warfen der Gegenseite regelmäßig vor, nur Gutachten und Stellungnahmen von Personen zu verwenden, die dem Flugbetrieb wohlwollend gegenüberstehen und mögliche Grenzwerte entsprechend interpretieren und interpolieren.

Weil man so nicht weiterkommt, wurde für zehn Millionen Euro eine neue Lärmwirkungsstudie in Auftrag gegeben, die größte und umfassendste bisher. Neun renommierte Forschungs- und Fachinstitutionen aus Medizin, Psychologie, Sozialwissenschaft, Akustik und Physik haben sich dafür zusammengeschlossen. Zur Überwachung der ethischen Grundsätze und zur Qualitätssicherung nahmen externe, unabhängige Wissenschaftler aus drei Ländern teil. Um der gesamtheitlichen Erforschung der Wirkung von Verkehrslärm nachzugehen, wurden die Untersuchungen vornehmlich im Rhein-Main-Gebiet und in den Regionen um die Flughäfen Berlin-Brandenburg, Köln/Bonn und Stuttgart durchgeführt.

Natürlich unterstützte auch der Flughafenbetreiber Fraport diese Studie, ein Umstand, der den Flughafengegnern verdächtig erscheint, schon weil auch andere Lärm-Emittenten einbezogen wurden. Dabei erscheint das nur konsequent. Wenn nämlich jemand vorgibt, der Lärm mache ihn krank, dann ist es schon wichtig zu wissen, ob die Person gleichzeitig auch Straßen- oder Schienenlärm ausgesetzt ist. Daher wurden adressgenaue Daten erhoben und in statistischen Analysen mit den Wirkungsdaten in Beziehung gesetzt.

Die Ergebnisse sind derzeit überall nachzulesen. Ungewöhnlich ist hierbei nicht, dass auch Mediziner nicht einer Meinung sind und ihre eigenen abweichenden Resultate verteidigen. Hatte jemand gehofft, mit der Veröffentlichung der Studie wäre der Fluglärmstreit beigelegt, wird man sich enttäuscht sehen. Vielmehr gibt sie neuen Stoff für Diskussionen. ESA Generaldirektor Professor Wörner brachte NORAH auf den Punkt: Die Erkenntnisse sind nach seiner Einschätzung untauglich für Streit. Er appellierte daher an Politiker wie Bürger, Luftfahrtbefürworter und Gegner mit den hochkomplexen Ergebnissen sorgsam umzugehen und extreme Interpretationen und voreilige Schlüsse zu vermeiden. Wenn ich noch einen Rat hinterherschieben dürfte? Alle Krisen dieser Welt ließen sich nachhaltig nicht mit Konfrontation lösen, sondern mit Gesprächen, Verhandlungen, mit Diplomatie und Kooperation. Verständnis für einander erreicht man nicht mit Krawall, sondern mit dem schrittweisen Erwecken gegenseitiger Einsichten.

Von Andreas Fecker