Luftpost 118: Hadsch

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Andreas Fecker – Foto: Bildarchiv Fecker

Heute endet die vom saudi-arabischen Hadsch-Ministerium festgelegte fünftägige Kernperiode der großen Pilgerfahrt, die jeder erwachsene Moslem mindestens einmal in seinem Leben absolvieren soll. Der Zeitraum richtet sich nach dem islamischen Mondkalender und der Sichtbarkeit des zunehmenden Halbmondes über Mekka.

Weshalb dieses Thema aber Eingang in die Luftpost gefunden hat, ist die logistische Leistung, die die Organisatoren mit ihrem Airlift vollbringen. Bis zu sechs Millionen Pilger müssen Jahr für Jahr rechtzeitig aus den überwiegend moslemischen Staaten nach Jeddah und zurück geflogen werden. Die regulären Jeddah-Flüge der großen Airlines sind in dieser Zeit selbstredend bis auf den letzten Platz ausgebucht. Das ist die Stunde der Fluggesellschaften, von denen man sonst nie etwas hört, wenn man nicht gerade die Unfallberichte liest: Maxair, Medview, Kabo Air, Sky Power, Flynas, Kallat Elsaker Air, NAS Air, Meridian, Air Jupiter, Sudan oder Safi Airways, fast alles Gesellschaften, die in Europa auf der Schwarzen Liste stehen. Für die Mekka-Transporte werden sogar eingemottete Jumbos vom Typ 747-200 und andere fliegende Mausefallen mit über 30 Jahren auf dem Buckel reaktiviert, die das Jahr über auf einem verlassenen Flughafen in der Sonne gestanden haben.

Aber auch Pakistan Airways, Malaysia Airlines, Lion Air, Bangladesh Airlines oder Garuda Indonesian haben Großeinsätze. 150.000 Pilger kommen aus Pakistan, 70.000 davon mit PIA, 25.000 mit Emir Aviation. 76.000 Pilger werden aus Nigeria erwartet, Air India unternimmt 230 Hadsch-Flüge aus sieben indischen Städten für 38.000 Hadschis nach Jeddah. Pilger aus 37 Ländern passieren durch das Jeddah Terminal. Jedes Flugzeug erhält ein Zeitfenster für die Landung in Jeddah. Dort wurde das 465.000 m² große Hadsch-Terminal gebaut, das 80.000 Pilger zugleich aufnehmen kann, nach Peking und Hongkong das drittgrößte der Welt. Die Bodenzeit der Flugzeuge ist limitiert, die Startzeit muss genau eingehalten werden. Buchstäblich jede Sekunde Verspätung kostet die Airline einen empfindlichen Aufschlag. Verstöße werden von einem Komitee ausgewertet, vom Ergebnis ist abhängig, ob die Airline im folgenden Jahr wieder Pilger fliegen darf.

Mekka Pilger aus Bangladesh - Foto: Archiv Fecker

Mekka Pilger aus Bangladesh – Foto: Bildarchiv Fecker

Viele Hadschis kommen aus armen Ländern und fliegen zum ersten Mal, sind ängstlich, verstehen die Sprache nicht oder sprechen seltene Dialekte. Die unerfahrenen Passagiere wissen nicht, was sie an Bord tun dürfen und was nicht. Das beginnt bei so simplen Handlungen wie Gebrauch und Spülung der Toilette. Auf Hadsch-Flügen gleicht das Boarding deshalb schon mal einer Stampede. Handgepäck, Plastiktüten und Leinensäcke liegen in den Gängen, die Kommunikation zwischen Flugbegleiter und Cockpit Crew ist Glücksache, für die Dauer des Hadsch angeworbenes Personal ist bisweilen mit den Evakuierungsverfahren für den eingesetzten Flugzeugtyp nicht vertraut. Ein abgebrühter Flugbegleiter erzählt, er habe während seines Drei-Monats-Vertrags bei einer solchen Hadsch-Airline elf Triebwerksausfälle erlebt. Professionalität wird durch Gottvertrauen ersetzt.

Es kommt schon mal vor, dass schwindsüchtige, afrikanische Airlines die Pilger zwar nach Mekka schaufeln, sie aber nicht wieder abholen, weil sie entweder ruinöse Verspätungsgebühren bezahlen mussten, oder weil sie inzwischen bankrott waren. Diese Hadschis müssen dann von anderen Airlines abgeholt werden. Danach entbrennt regelmäßig ein Streit ums Geld vor meist afrikanischen Gerichten. Kein guter Abschluss einer Pilgerreise, die ja Einsicht und Ausgeglichenheit bewirken soll.

Ein anderes Thema ist die Unterbringung; und jetzt komme ich auch auf die Katastrophe vom vergangenen Donnerstag zu sprechen. Neben den Hotels, Pensionen und Privathäusern in Mekka gibt es die Zeltstadt Mina, sechs Kilometer vor den Toren der heiligen Stadt. Dort stehen 900.000 klimatisierte Zelte. Das Jahr über stehen sie leer, nur während des Hadsch werden sie bewohnt. Bei den Massen von Menschen kam und kommt es immer wieder zu Paniken, bei denen hunderte von Pilgern sterben. Über 700 Todesopfer und noch mehr Verletzte wurden vergangene Woche gezählt! Spätere Zählungen summieren sich sogar auf 1800 Tote! Dagegen nehmen sich die Probleme der Hadsch-Airlines geradezu lächerlich aus.

Die Zeltstadt Mina bei Mekka. Dort passierte auch das Unglück von vergangener Woche – Foto: Rahman, gemeinfrei

Die islamische Welt betrauert nun also die toten Pilger von Mekka. Wenn ich nun aber an das islamische Bruderland Syrien denke, fallen mir ganz andere Schicksale ein. Spontan kommen mir da Alternativen zum Transport und zur Unterbringung der vielen Menschen auf der Flucht in den Sinn. Das reiche Saudi-Arabien hat dem Vernehmen nach 661 Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen! À la bonne heure…!

Von Andreas Fecker