Luftpost 101: Billigflieger

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Andreas Fecker – Foto: Bildarchiv Fecker

Die Deregulierung in Europa fördert immer mehr Früchte zutage, die so sicherlich nicht gewollt waren. Als Folge der Marktfreigabe schießen Billigairlines aus dem Boden, die sich vorzugsweise gegenseitig das Leben schwer machen, die aber auch in die Märkte der Vollsortimenter einbrechen. Mit Kampfpreisen und Lockangeboten werben Ryanair & Co um die Kundschaft. Reagierten die Großen anfangs noch mit Verachtung und Spott, sind sie nun längst im Krisen-Mode, denn die Billigflieger zwingen zu Preisnachlässen und drängen den Altehrwürdigen respektlos ihr Geschäftsmodell auf. Es begann damit, dass auf den meisten Strecken Kunden angesprochen wurden, die sonst überhaupt nicht geflogen wären. Da startete Ryanair einst einen Hype für eine Handvoll Euro auf eine Tasse Kaffee nach Mailand oder Montpellier zu jetten. Geschäftsleute wandten sich angewidert ab, denn man war ja froh, mal eben NICHT jede Woche nach Rom, Brüssel oder Paris fliegen zu müssen. So überließ man diesen Parallelmarkt getrost der Billigkonkurrenz und spottete über entlegene Regionalflughäfen, wo man sowohl vor dem Abflug als auch nach der Ankunft stundenlange Busfahrten in Kauf nehmen musste. Außerdem gingen Geschichten über stehengelassene Passagiere und Ärger über Gepäckzuschläge durch die Zeitungen, gewürzt mit Zitaten aus den recht sportlichen Haftungsausschlüssen der Billigairlines.

Doch statt mit Luxus, Komfort und Kundenfreundlichkeit zu kontern, ließen sich die Etablierten von der Low-Cost-Konkurrenz immer mehr vor sich hertreiben. Angesagt war nun Abspecken an Gewicht, Service und Catering, Erhebung von zusätzlichen Gebühren für Dinge, die früher selbstverständlich waren. Lufthansa übergab ihrem Low Cost Ableger Germanwings ein halbes Tausend ihrer Inlands- und Europastrecken. Die Tochter sollte dabei vom guten Ruf der Muttergesellschaft profitieren. Obwohl das jüngst genau in die andere Richtung ging, scheint die Kalkulation mittelfristig aufzugehen. Den CASK so niedrig wie möglich zu halten, ist das Ziel der Low Cost Carrier.

Womit erreicht man das? Einige Merkmale sind hier aufgeführt. Sie unterscheiden sich zwar von Anbieter zu Anbieter, aber das Prinzip gilt: Kosten sollen gar nicht erst entstehen, dann braucht man sie auch nicht einzusparen.

  • Es wird möglichst nur ein einziger Flugzeugtyp geflogen. Das verringert Wartungskosten, Ersatzteillagerung, Aus- und Fortbildung des Personals. Maschinen und Crews sind flexibler austauschbar.
  • Mehr Passagiere pro Flugzeug durch engere Bestuhlung. Soll doch der Zwei-Zentner-Mensch das nächste Mal mit der Konkurrenz fliegen!
  • Regionale Flughäfen haben geringere Landegebühren. Ryanair ist längst so weit, dass die Airline den Regionalflughäfen die Landegebühren diktieren kann.
  • Kleinere Flughäfen haben auch kürzere Rollwege. Nach der Landung hat man daher auch schneller die Passagiere „umgeschlagen“ und ist schneller wieder startbereit. Man kann mehr Flugzeugumläufe pro Tag durchführen, die Auslastung erhöht sich, damit der Umsatz und der Gewinn.
  • Keine Stadtbüros, keine Mieten, keine Gehälter
  • Kein Service an Bord bzw. Service nur gegen Cash. Die Crew ist am Umsatz beteiligt
  • Die Flugzeuge werden nach der Landung von der Crew selbst gereinigt
  • Kein Ticketverkauf über Reisebüros. Das erspart die Kommission.
  • Rationeller Verkauf ausschließlich über das Internet. Das ausgedruckte Ticket besteht aus einem Blatt Papier vom heimischen Drucker und trägt einen QR-Code, der beim Einchecken gelesen wird.
  • Der Passagier trägt das Gepäck selbst zum Flugzeug. Das ist zwar nicht überall so, setzt sich aber langsam durch.
  • Festangestellte Crews haben mehr zu fliegen für weniger Geld. Außerdem wird erwartet, dass sie sich ein paar Stunden wöchentlich auch noch mit administrativen Aufgaben befassen.
  • Piloten sind zum Teil auch selbständige Unternehmer einer GmbH nach irischem Recht. So spart man Krankenversicherung, Sozialversicherung und bezahlten Urlaub.
  • Crews werden nur für Flugzeiten bezahlt.
  • Manche Modelle sehen auch „Pay-to-fly“ vor, wo Kopiloten für ihren Einsatz bezahlen müssen. Sie brauchen nämlich ihre Mindestflugstunden pro Jahr, damit sie ihre teuren Typenzulassungen nicht verlieren.

Nichts scheint die Kunden abzuschrecken. Ryanair vermeldet gerade wieder Rekordumsätze. Die Auslastung der Maschinen verbesserte sich von 83 auf 88 Prozent. Auf Wunsch der Firmenzentralen müssen auch Geschäftsreisende längst auf Dienste von Billigfliegern zurückgreifen. Die Airlines konnten aus der Schmuddelecke heraustreten, seitdem Unternehmen die niedrigeren Reisekosten in ihren Jahreshaushalt einplanen. Fast alle Low-Cost-Carrier operieren mit nagelneuen Flotten. Das schafft Vertrauen bei den Kunden. Dass die etablierten Airlines einen ganz anderen Typenmix betreiben, dass deren teure Langstreckenmaschinen viel weniger Starts und Landungen aushalten müssen, dass sie schon deshalb eine höhere Lebenserwartung haben, zählt beim unbedarften Verbraucher nicht. Er lässt sich vom geringen Durchschnittsalter der Flotten blenden. Ein anderer Kundenkreis schwört auf die Billigflieger, weil sie es ermöglichen, zwischen der Heimat und der Arbeitsstelle wie zum Beispiel einem irischen Callcenter hin und her zu pendeln. Dann ist da der Markt der Kunden, die in der Nähe eines Regionalflughafens wohnen, und die sich mit Hilfe dieser Low Cost Carrier zeitraubende Anreisen zu den großen Flughäfen sparen. Um die Regionalflughäfen herum siedeln sich auch gerne junge Startup Unternehmen an, die mit Partnern im Ausland arbeiten wollen.

Da übersieht man gerne den Druck, der mit den niedrig gehaltenen Kosten einhergeht. Hält der „selbständige“ Käpten einer Low Cost Airline seinen Flieger wegen eines kleinen Defekts für nicht flugtauglich, wird man ihn bald nicht mehr engagieren. Natürlich bestreitet der Carrier auch, dass es eine geheime Liste über Piloten gäbe, die aus Sicherheitsgründen regelmäßig mehr Reservesprit tanken, als offiziell nötig. Auch dass deutsche Behörden derzeit gegen Ryanair wegen Sozialversicherungs- und Steuerbetrug ermitteln, ficht den Schnäppchenpassagier offenbar nicht an. Piloten mit sogenannten „prekären Arbeitsverhältnissen“? – Egal. Brechend volle Billig-Bomber lassen das zumindest vermuten.

Von Andreas Fecker