Die Jubiläums-Luftpost von Andreas Fecker: Das ILS von Sarajevo

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Foto: Bildarchiv Fecker

Jahrestage eignen sich immer für etwas Besonderes. Heute erscheint die 52. Luftpost. Ein Jahr an dem ich Samstag für Samstag aus meinem bewegten Leben in der Luftfahrt erzählen durfte, wo ich über Herzensanliegen schreiben konnte, wo ich aktuelle Ereignisse mit eigenen Erlebnissen zu dem Thema verknüpfte. Ich danke den Lesern der Airportzentrale für die Treue, die Geduld, und den Zuspruch, den ich meist per Email erhalten habe. Eine ganz besondere Geschichte hat sich in meinem Gedächtnis eingebrannt, weil sie so gar nicht in den Alltag eines Soldaten passte.

Freitag, den 21. März 1997. Ich arbeitete noch am späten Nachmittag im Verfahrenszentrum der SFOR in Kaufbeuren. Eben lief ein 10-seitiges Fax in französischer Sprache aus Sarajevo ein. Während ich auf die letzte Seite wartete, klingelte das Telefon. Ein Offizier aus dem Pentagon in Washington meldete sich. „Was haben wir für ein Problem mit dem Instrumentenlandesystem in Sarajevo?“ Noch nie hatte jemand aus dem Pentagon in einer Allgäuer Kaserne angerufen. Bonn, Berlin, Brüssel, ja. Aber Kaufbeuren? Entsprechend groß war meine Überraschung. Ich antwortete ihm, dass soeben ein Fax mit dem Ergebnis der Flugüberprüfung einlief, er möge doch bitte in einer halben Stunde nochmal anrufen.

Ich studierte den Report. Sarajevo ILS war mit Pauken und Trompeten durch die technische Überprüfung gefallen. Es lag an so elementaren Dingen wie der Notstromversorgung, die Bemalung der Piste, Sabotage am Localizer, ein Baum ragte in den Gleitpfad, durch Löcher im Zaun konnten Ziegen die Landepiste überqueren. 21 Einzelprobleme verhinderten, dass das Instrumentenlandesystem freigegeben werden konnte. Wieder rief das Pentagon an. Ich erklärte dem zackigen Offizier den Sachverhalt. „Was brauchen wir, um diese Probleme zu beheben?“ fragte er. „Sie brauchen einen Mann, der etwas von Flugsicherung versteht, von Verfahrensdesign, mit etwas diplomatischem Geschick, denn er muss mit Franzosen, Bosniern, Kroaten, Serben und Amerikanern verhandeln.“ „Wie lange dauert das?“ „Eine Woche.“ „Welcher Dienstgrad, welche Nation?“ „Egal, solange er die Unterstützung des Pentagons hat.“ „Vielen Dank. Bitte halten Sie sich das Wochenende über zur Verfügung. Wir rufen zurück.“

Am Samstag rief das Pentagon wieder an. Diesmal stellte sich ein Berater des amerikanischen Verteidigungsministers vor. „Captain,“ begann er, „wir haben die von Ihnen aufgezählten Anforderungen durch unsere Computer laufen lassen. Wir haben keinen Mann, der all diese Eigenschaften besitzt. Können Sie das erledigen?“ Ich musste mir auf die Zunge beißen, um jetzt nicht ‚selbstverständlich‘ zu sagen. „Yes, Sir,“ antwortete ich. „Wann können Sie abreisen?“ „Ich will einige Dinge vorbereiten, nächstes Wochenende ist Ostern. Am Dienstag, 25. März. Bitte kümmern Sie sich um die Genehmigung von meinem Ministerium.“

Und so geschah es. Man flog mich nach Vicenza, von dort mit einer griechischen Herkules nach Sarajevo. Eine Woche arbeitete ich um möglichst viele der Beanstandungen aus dem Weg zu räumen. Als ich am Samstag darauf auf meinen Rückflug wartete, traf ich mit einem amerikanischen Diplomaten zusammen. Er wusste über meinen Einsatz Bescheid und sagte wie beiläufig, „Na, dann kann der Papst ja kommen.“ „Moment mal, der Papst kommt hierher? Johannes Paul der II?“ „Ja, am 12. April. Wir hatten befürchtet, dass sein Flugzeug mit diesem ILS bei schlechtem Wetter oder wegen Nebels nicht in Sarajevo landen kann und auf unsere Air Base nach Tuzla ausweichen müsste. Wir müssten den Papst dann notfalls auf dem Landweg nach Sarajevo bringen. Gäbe es da einen Anschlag, wäre das nicht gut für uns. 130 km unsichere Straßen. Wir müssten die ganze Strecke sichern, jede Brücke, jede Kreuzung. Jeden Kanaldeckel. Das können wir uns jetzt sparen!“

Von dem Tag an hatte ich Respekt vor der analytischen Weitsicht der amerikanischen Politik. Zumindest damals noch. In der kommenden Woche trifft sich die Welt wieder einmal in Sarajevo, diesmal um den 100. Jahrestag der Ermordung von Erzherzog Franz Ferdinand und den Beginn des ersten Weltkriegs zu begehen. Man wird starke Reden hören, Appelle an die Regierenden der Welt. Wünschen wir uns, dass zumindest ein wenig davon hängen bleibt; wünschen wir uns, dass der Friede eine Chance erhält. Es sind oft nur kleine Funken, die ein großes Unglück auslösen, an dem der Mensch noch über Jahrzehnte zu kauen hat.

von Andreas Fecker

Eine Antwort zu “Die Jubiläums-Luftpost von Andreas Fecker: Das ILS von Sarajevo”

  1. Max Cicero sagt:

    Grossartiger Bericht! Vielen Dank!